Viel Kritik erntete Annalena Baerbock für ihre Ankündigung, eine "werteorientierte", ja "feministische" Außenpolitik betreiben zu wollen. Hauptsächlich von rechts erinnerte man die Außenministerin daran, dass Nationen Interessen hätten, keine Freunde, dass Außenpolitik vor allem Realpolitik zu sein, das heißt, den Interessen des eigenen Landes zu dienen habe. Spätestens seit Freitag müssten diese Kritiker mit Baerbock zufrieden sein. Denn Deutschland ließ bei einer Abstimmung in der UN-Vollversammlung den Freund Israel im Stich, um sich bei Leuten einzuschmeicheln, die unserem Land nützlich sein könnten.

Eins nach dem anderen: UN-Resolution A/ES-10/L.25, eingebracht von – unter anderen – Russland, Nordkorea, der Türkei, Saudi-Arabien und Palästina, fordert eine sofortige humanitäre Feuerpause in Gaza. Während Israel – wahrheitswidrig – in der Resolution als "Besatzungsmacht" in Gaza genannt wird und eine angeblich sich verschlechternde Situation "im Rest der besetzten palästinensischen Gebiete, einschließlich Ostjerusalem, und in Israel" beschworen wird, findet sich keine Erwähnung der Hamas, ihrer Verantwortung für die Massaker vom 7. Oktober, die euphemistisch als "Angriffe" umschrieben werden, für die Geiselnahme von 220 Menschen und die bis heute fortgesetzten Raketenangriffe auf Israel. Stattdessen werden "alle Gewaltakte gegen palästinensische und israelische Zivilisten" verurteilt, als gäbe es keinen Unterschied zwischen dem gezielten, brutalen und von Rassenhass motivierten Massenmord der Hamas-Terroristen und den zivilen Opfern – über deren Zahl wir nichts Verlässliches wissen – im Rahmen eines vom Völkerrecht gedeckten Militärschlags gegen die Urheber dieses Rassenmords.

Darum hatte Kanada einen Zusatz zur Resolution eingebracht, der die "Terrorattacken der Hamas" und die Geiselnahmen verurteilte und die sofortige und bedingungslose Freilassung der Geiseln forderte. Dafür stimmten immerhin 88 UN-Mitglieder. Da aber 55 dagegen stimmten und sich 23 enthielten, verfehlte Kanadas Resolution die nötige Zweidrittelmehrheit.

"Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt"

Daraufhin hat sich Deutschland entschieden, der Resolution A/ES-10/L.25 "nicht zuzustimmen", so Baerbock: "Weil die Resolution den Hamas-Terror nicht klar beim Namen nennt, die Freilassung aller Geiseln nicht deutlich genug fordert und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt." Recht hat sie. Das wären die Minimalbedingungen einer Resolution, die einer "werteorientierten" Außenpolitik entsprächen.

Ob es sinnvoll ist, jetzt nach einer Feuerpause zu rufen, da die militärischen Strukturen der Hamas soweit intakt sind, dass sie nach wie vor Raketen auf Israel schießen kann; da ihr mit internationaler "humanitärer" Hilfe gebautes Tunnelnetz nicht zerstört ist; da Tausende Terroristen noch ihre Waffen haben und sich in Gaza hinter menschlichen Schutzschilden verschanzt haben – das ist eine andere Frage. Die Resolution erklärt ausdrücklich, dass die Feuerpause zur "Beendigung aller Kämpfe" führen soll, was für Israel inakzeptabel wäre, da das den Terroristen die Kontrolle über den Gazastreifen belassen würde.

Darüber freilich hätte man diskutieren können, wenn die Resolution gemäß dem kanadischen Zusatz abgeändert worden wäre. So aber war sie absichtlich so formuliert, dass sie von Israel und jedem Freund Israels abgelehnt werden musste. Tatsächlich aber gab es nur 14 Gegenstimmen, darunter Israel und die USA; von den Mitgliedern der Europäischen Union stimmten nur Kroatien, Tschechien, Österreich und Ungarn dagegen. Belgien, Frankreich, Irland, Luxemburg, Malta, Portugal, Slowenien und Spanien stimmten dafür. Die anderen enthielten sich, darunter Deutschland.