Hajo Funke
AfD-Masterpläne
Die rechtsextreme Partei und die Zerstörung der Demokratie | Eine Flugschrift
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ISBN 978-3-96488-210-3

Michael Brie
Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?
Strategische Fragen linker Politik in Zeiten von Krieg und Krise
Eine Flugschrift
126 Seiten | EUR 12.00
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Antje Vollmer/Alexander Rahr/Daniela Dahn/Dieter Klein/Gabi Zimmer/Hans-Eckardt Wenzel/Ingo Schulze/Johann Vollmer/Marco Bülow/Michael Brie/Peter Brandt
Den Krieg verlernen
Zum Vermächtnis einer Pazifistin | Eine Flugschrift
120 Seiten | EUR 12.00
ISBN 978-3-96488-211-0

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Peter Wahl
Der Krieg und die Linken
Bellizistische Narrative, Kriegsschuld-Debatten und Kompromiss-Frieden
Eine Flugschrift
100 Seiten | Euro 10.00
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Heiner Dribbusch
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Arbeitskämpfe und Streikende in Deutschland seit 2000 – Daten, Ereignisse, Analysen
376 Seiten | Hardcover | EUR 29.80
ISBN 978-3-96488-121-2

9. Oktober 2023 Redaktion Sozialismus.de: Anforderung an die Zivilgesellschaft nach den Landtagswahlen

»Zammenreißen – Bayern gegen Rechts«

Kurz vor der Landtagswahl haben in der Münchner Innenstadt ca. 35.000 engagierte Bürger*innen gegen den politischen Trend in Bayern demonstriert. Die Freund*innen eines bunten Münchens haben ein sichtbares und hörbares Bekenntnis zum Ausdruck gebracht.

In Zeiten, in denen Hass und Hetze unsere Gesellschaft spalten, wo unsere Demokratie von rechtsextremen Politiker*innen bedroht wird, in denen Menschengruppen gegeneinander ausgespielt werden, sollte unterstrichen werden: Es ist höchste Zeit für eine offene, solidarische und demokratische Gesellschaft einzutreten, in der jeder Mensch sein Leben selbst gestalten kann.

Angesichts der Wahlergebnisse wird die Dringlichkeit dieses Engagements unterstrichen. Denn nimmt man die Stimmergebnisse von AfD und der Freien Wähler zusammen, kommen die rechtspopulistischen Formationen und rechtsextremen Parteien auf ein Stimmgewicht, das wir ansonsten bislang nur in den ostdeutschen Bundesländern sehen. Der machtvolle Protest gegen Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus hat sich im Wahlergebnis nicht signifikant niedergeschlagen.

Nachdem der bayerische Ministerpräsident Markus Söder beschlossen hatte, Hubert Aiwanger trotz der Antisemitismusvorwürfe im Amt zu lassen, war ein relevanter Protest auf den Straßen und Plätzen zunächst ausgeblieben. Im Endergebnis hat der breite Protest in München die politische Stimmung im Land nicht drehen können: Die Freien Wähler Hubert Aiwangers haben im Gegenteil ihren Stimmenanteil ausbauen können. Und auch die AfD hat zugelegt. Sie holt mit 14,6% ihr bisher bestes Ergebnis.

Der Grund für diese Rechtsverschiebung: Bei den bayrischen Wähler*innen dominiert angesichts steigender Migrationszahlen die Sorge vor irregulärer Zuwanderung. Der Trumpf im Wahlkampf war der »Deutschlandpakt gegen unkontrollierte Zuwanderung«. Das zweitwichtigste Thema ist eine sichere und günstige Energieversorgung, auf Platz drei folgt der Klimawandel. Die schwächelnde Konjunktur rangiert in Bayern – anders als im Bund – lediglich auf Platz fünf. Diese thematischen Punkte im Alltagsbewusstsein erklären zu einem Großteil das Ergebnis – bei einer leicht gestiegenen hohen Wahlbeteiligung von 73,3%.

Laut Umfragen traut der Ampelkoalition im Bund derzeit nur noch eine Minderheit zu, das Land nennenswert voranzubringen. Der Aufstieg der AfD und der Absturz der Ampelparteien spiegeln sich bei den Landtagswahlen in Bayern (und auch in Hessen). Insgesamt sind wir in Bayern mit einem Wahlergebnis konfrontiert, das in der Verschiebung des politischen Koordinatenkreuzes nach rechts den Verhältnissen in den ostdeutschen Bundesländern gleichkommt.


Aufstieg der Freien Wähler trotz Flugblatt-Affäre

Die Freien Wähler legen deutlich zu und sind mit 15,8% (plus 4,2% gegenüber 2018) zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen. Sie liegen damit vor der AfD (14,6%; + 4,4%) und den Grünen (14,4%; -3,2%), weit vor der in die Einstelligkeit gesunkenen SPD (8,4%) und Lichtjahre entfernt von den schwindsüchtigen Liberalen (3%). Die Freien Wähler haben gegenüber der selbsternannten Staatspartei CSU deutlich aufgeholt, die nur noch 37,0% erreicht.

Der Stimmenanteil markiert für diese Wählervereinigung mit ihrem rechtspopulistischen Programm gegen »die da oben« einen neuen Spitzenwert. Ihr pragmatisches Politikangebot: »Politik nach gesundem Menschenverstand«. Ihre Hauptforderungen: Steuerentlastungen, vor allem die komplette Abschaffung der Erbschaftssteuer und man dürfe den Leuten auf dem Land das Autofahren nicht verbieten.

Die Freien Wähler wollen als »Partei der Mitte« in Bayern weiterregieren. Und sie wollen 2025 in den Bundestag einziehen. »Das ist dringend nötig«, sagt Aiwanger und schießt gegen die Politik der Bundesregierung, etwa bei der Zuwanderung, dem Heizungsgesetz, der Wirtschaft und der Krankenhausfinanzierung sowie in der Cannabis-Debatte.

Die mittels angedrohter Volksabstimmung erreichte Abkehr von der Zahlungspflicht für Hausbesitzer*innen bei neu angelegten Straßen – »Wir haben gesehen, wie draußen die Hütte brennt« – bleibt der bisher größte Erfolg einer Bewegung, die Aiwanger ein Jahr zuvor den »Stamm der aufgehenden Sonne« genannt hatte.

In einem Punkt liegen CSU und Freie Wähler programmatisch weit voneinander entfernt: Letztere lehnen die Einführung der Grundsteuer C, einer Steuer auf unbebaute Grundstücke, im Gegensatz zur CSU kategorisch ab. Aiwanger wird von dieser Position auch in der neuen Wahlperiode nicht abrücken: »Es ist keine Politik für den Freistaat Bayern, Grundstückseigentümer durch halsabschneiderisch hohe Grundsteuern zum Grundstücksverkauf zu nötigen. Die Freien Wähler werden diese falschen Tendenzen in Bayern auch weiterhin nicht mittragen.«

Auch bei der Grunderwerbssteuer gibt es Differenzen: Die CSU will eine Steuer von 3,5% für das erste selbstgenutzte Wohneigentum »garantiert fortführen«, wie die Partei auf eine Anfrage der Immobilienzeitung bekannt gab, und betont dabei, dass »alle anderen Länder« den Steuersatz auf 5,5% bis 6,5% angehoben hätten. Die Freien Wähler dagegen wollen die Grunderwerbssteuer komplett abschaffen.

Streit beim Thema Wohnen ist außerdem programmiert in Sachen Mietpreisbremse: Die Freien Wähler lehnen sie ab, die CSU befürworten sie in Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt – und weiteten sie zuletzt sogar auf weitere bayerische Kleinstädte aus.

So ähnlich sich Freie Wähler und CSU in ihren Wahlprogrammen auch in vielen Punkten sind – schaut man genau hin, gibt es weitere Konfliktpunkte. Zum Beispiel beim Thema Gendern an Schulen: Die CSU ist dagegen, dass an bayerischen Schulen Formulierungen genutzt werden, die neben »weiblich« und »männlich« weitere Geschlechter abbilden. Die Freien Wähler positionieren sich hierzu neutral.

Aiwangers Partei plädiert außerdem dafür, dass bayerische Schulbücher eine »Vielfalt von Familienkonstellationen widerspiegeln« sollen, was »gleichgeschlechtliche Eltern« einbeziehe. Söders CSU will dagegen, dass Schulbücher ausschließlich das traditionelle Familienbild (Vater, Mutter, Kinder) vermitteln und erklärt: »Eine Gesellschafts- und Bildungspolitik, die der Gender-Ideologie folgt, lehnen wir ab.«

Auch in Sachen Asyl gibt es Differenzen: Die CSU setzt weiter auf große Sammeleinrichtungen bzw. Anker-Zentren zur Unterbringung von Asylbewerber*innen bis zu ihrem Asylentscheid. Die Freien Wähler wollen Geflüchtete dagegen dezentral in den Kommunen unterbringen und setzen auf Unterstützung der Gemeinden bei der Schaffung von Wohnraum.

Ein Streitpunkt ist außerdem die Entnahme von Tiefengrundwasser für gewerbliche Zwecke: Aiwangers Partei will das laut Wahlprogramm zulassen, wenn es »unbedingt notwendig« ist, die CSU will dazu keine neuen Genehmigungen mehr erteilen.

Der Kampf gegen Political Correctness als Ausdrucksform einer zentralistischen Sprach- und Politikelite hat Tradition in einer Partei, die sich als bürgerliches Sammelbecken regionaler Graswurzelbewegungen versteht. Gleiches gilt für den Einsatz gegen jede als bevormundend wahrgenommene politische Maßnahme, die angeordnet, aber unzureichend kommuniziert wird. Die Freien Wähler verstehen sich als eine institutionalisierte Bürgersprechstunde, Stammtisch und Aktionsbündnis in einem.

Mit diesem Konzept zogen sie bisher in die Landtage von Bayern, Rheinland-Pfalz und Brandenburg – als mit dem Bundesverband kooperierende »Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen/Freie Wähler« – sowie in das Europäische Parlament ein. Dort gehören ihre zwei Abgeordneten der liberalen Fraktion Renew Europe an. Die überwölbende »Freie Wähler Bundesvereinigung« geht zurück auf den 1965 gegründeten »Bundesverband der Freien Wähler«, mit dem sich die seit den 1950er Jahren aktiven kommunalpolitischen Zusammenschlüsse ein gemeinsames Dach gaben.

Die Freien Wähler legen besonderen Wert auf eine Balance zwischen Humanität und Integrationsfähigkeit bei der Zuwanderung. In ihrem Wahlprogramm plädieren sie dafür, die Fluchtursachen mit gezielter Wirtschaftspolitik in den Herkunftsländern zu bekämpfen. In Krisengebieten sollen betroffene Nachbarländer »bei der wohnortnahen Aufnahme von Flüchtenden« unterstützt werden. Gleichzeitig fordern die Freien Wähler einen Ausbau der Rückkehrabkommen und stärkeren Druck auf »unwillige Herkunftsländer«. Für Asylbewerber*innen soll das Prinzip gelten: »Sachleistungen vor Geldleistungen«.

Um dem Fachkräftemangel in Bayern zu begegnen, plädieren die Freien Wähler für ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild: Das würde ein Punktesystem bedeuten, je nach Qualifikation und Berufserfahrung. Die Freien Wähler wollen den Familiennachzug für Asylbewerber*innen begrenzen, gleichzeitig lehnen sie – ebenso wie CSU und Grüne – Abschiebungen während der Ausbildungszeit ab. Auch sie wollen eine schnellere Anerkennung von Bildungsabschlüssen und fordern insgesamt einen beschleunigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Wer sich um Integration bemühe, soll eine Bleibeperspektive bekommen.

Aiwanger nutzte die Sprache der AfD, wiegelt die Menschen auf und fischt am rechten Rand. Die Freien Wähler sehen sich mit dem Wahlergebnis in einer guten Verhandlungsposition für die Koalitionsgespräche. Sie melden Anspruch auf ein viertes Ministerium an. Aiwanger, der selbst Landwirt und Jäger ist, sagt: »Landwirtschaft und Wirtschaft passen gut zusammen.« Er wolle jedoch Wirtschaftsminister bleiben. Dass die CSU das Landwirtschaftsressort hergeben wird, gilt als unwahrscheinlich. Söder hat schon mal klargestellt: Das Landwirtschaftsministerium bleibt in CSU-Hand.


Die AfD in Bayern

Auch die bayrische AfD konnte ihren Stimmanteil deutlich ausbauen, sie ist mit 14,6% drittstärkste Kraft im Parlament. Auch diese Partei kämpft für Steuersenkungen und die Belange des kleinen Eigentums. Ihr Hauptschwerpunkt ist die Bekämpfung der »illegalen Migration«. Laut AfD hat die »unkontrollierte Masseneinwanderung der letzten Jahre« in Bayern zu Problemen geführt, die »langfristig kaum beherrschbar« sind. Sie fordert Maßnahmen gegen illegale Einwanderung sowie den Schutz der hiesigen Werteordnung vor einer »fortschreitenden Islamisierung«. Ausreisepflichtige Personen sollen binnen maximal sechs Monaten abgeschoben werden: »Das Ziel muss eine bayerische Abschiebequote von 100% aller nicht aufenthaltsberechtigten Personen sein.« Die Praxis des Kirchenasyls soll sofort beendet werden. Die Partei will Kriegsflüchtlinge nur dann in Europa aufnehmen, »wenn keine Versorgung in der Nähe der Konfliktregion möglich ist« – und dann auch nur aus »aktuell umkämpften Gebieten« und »nur für die Dauer der Kampfhandlungen«.

Im Gegensatz zu den anderen Parteien setzt sich die AfD bei Arbeitsmigration dafür ein, Hochqualifizierte in der Regel nur »zeitlich befristet« ins Land lassen und das nur »in jedem Fall numerisch strikt begrenzt«. Außerdem will sie bei der Staatsbürgerschaft zurück zum Abstammungsprinzip. Das heißt: »Die Staatsangehörigkeit wird im Regelfall von den Eltern übernommen.« Eine Einbürgerung »muss vorrangig deutschen Interessen dienen«, schreibt die AfD im Wahlprogramm.


Die Grünen und das Bayern-Gen

Die Grünen in Bayern haben unter dem negativen Bundestrend der Partei gelitten. Sie haben 3,2 Prozentpunkte gegenüber 2018 abgegeben und landen mit 14,4% auf dem vierten Platz. Unter dem Sturm der verschiedenen rechtspopulistischen Stimmen war eine Expansion der Stimmanteile nicht zu erreichen. Im Zentrum stehen die bekannten Themen: Klimaschutz statt Klimakollaps und Grüne Modernisierung mit Augenmaß statt schwarzen Stillstands. Es geht darum, günstigen Windstrom auszubauen, die Klimakrise zu bekämpfen und den Kindern eine Zukunft zu schenken. Zu Recht kritisieren die Grünen die konservative Politik der CSU und der Freien Wähler: Diese Koalition blockiere neue Windräder und verhindere billigen Strom. Sie lasse zu, dass 62.000 Kitaplätze fehlen und sich Bayerns Klima ungebremst aufheizt.


SPD abgemeldet

Die Bayern-SPD ist bittere Wahlergebnisse gewohnt. Die 9,7% von 2018 waren schon ein politischer Tiefschlag, jetzt ist sie bei 8,4% gelandet. Mit der Bayern-SPD ging es in den vergangenen Jahrzehnten stetig bergab. Dabei stellt die SPD in Bayern rund 200 Bürgermeister*innen, in rund 10% der über 2.000 Kommunen. Damit weiß mit rund vier Millionen Bürger*innen fast ein Drittel der Bevölkerung, dass die SPD regieren kann – etwa in Städten wie München, Hof, Pfaffenhofen an der Ilm oder in der Gemeinde Drachselsried im Bayerischen Wald.

Das ursprüngliche Wahlziel – »15 plus X« – war längst wegen mangelnder Realitätstüchtigkeit versenkt worden. Einen Ministerpräsidenten stellten die Genoss*innen zuletzt in den 1950er-Jahren – seitdem regiert die CSU. Für den letzten Lichtblick bei Landtagswahlen sorgte die SPD-Spitzenkandidatin Renate Schmidt 1998 mit 28,7%. Münchens SPD-Oberbürgermeister Christian Ude holte 2013 immerhin noch 20,6%.

Mit sozialen Themen sollte eine Trendwende erkämpft werden. Mit Slogans wie »Bayern muss bezahlbar bleiben« und »Machen statt Södern« sollte gepunktet werden. Im Wahlkampf setzte die SPD daher auf günstige Mietwohnungen, kostenlose Kita-Plätze, erschwingliche Pflege und gute Bildung für alle – alles drängende Probleme im Land, doch für die Wahlentscheidung spielten vor allem bundespolitische Themen die zentrale Rolle. Aber vor allem viele junge Wähler*innen tendieren eher zu den Grünen, die als moderner gelten.


Die bayrischen Liberalen

Bayerns FDP ist mit 3% deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Das hat mit der Ampel im Bund zu tun – aber nicht nur. »Servus Zukunft« lautete ihr zentraler Slogan im Landtagswahlkampf. Aber die Liberalen mussten gegen den Bundestrend ankämpfen. Auch bei den Wahlen in Berlin und Niedersachsen flogen sie aus den Parlamenten, in Nordrhein-Westfalen halbierte sich die FDP vergangenes Jahr auf 5,9%.

Als die bayerischen Liberalen vor einigen Monaten ihren Wahlkampf planten, wollten sie die Landespolitik ins Zentrum rücken, besonders über den Reformbedarf an Bayerns Schulen sprechen. Dass die FDP eine weitreichende Bildungsreform anbietet, mit einer leistungsorientierten Lehrkräfte-Bezahlung, späterem Schulstart am Morgen und viel mehr Entscheidungsfreiheiten für die einzelnen Schulen, drang in der Öffentlichkeit kaum durch. Stattdessen ging es im Wahlkampf viel um Bundespolitik – und um die Ampel in Berlin. Die Beteiligung an der Bundesregierung erwies sich für Bayerns Liberale als Mühlstein.


Markus Söder surft auf den rechten Stimmungen

Die CSU sei der Garant dafür, dass Bayern wirtschaftlich stark bleibe, betont der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident immer wieder. Die Berliner Ampelregierung habe beim Krisenmanagement seit dem Beginn des Ukrainekriegs versagt, u.a. in der Energiepolitik. Der Mitte der Gesellschaft gehe »langsam das Geld aus«, die Leute hätten Furcht, dass es für sie ein oder zwei Etagen nach unten geben könnte. »Erneuerbare Energien sind die mittelfristige Perspektive, aber sie helfen im Moment nicht, Energiepreise zu reduzieren.« Auch beim Thema Migration sei ein entschiedeneres Handeln nötig – die CSU habe das frühzeitig angesprochen und sei kritisiert worden. Inzwischen gebe es aber zumindest Bewegung in die richtige Richtung.

Söder warnte vor der AfD als gefährlicher Partei, die keine Alternativen biete. Die Freien Wähler seien eine »gute Ergänzung« in der bayerischen Regierung, aber die CSU bleibe der Motor. Die CSU erreichte 37,0% und bleibt damit weiterhin stärkste Partei, hat aber das schlechteste Ergebnis seit 1950 eingefahren

Im bayerischen Wahlkampf sind landespolitische Themen vielfach auf der Strecke geblieben. CSU und Freie Wähler trommelten gegen die Ampel, insbesondere gegen die Grünen. Söder sprach den Grünen ein »Bayern-Gen« ab, wetterte gegen »Umerziehungsideen« und erntete regelmäßig Jubel für sein »Nein zu Schwarz-Grün in Bayern«. Trotz seiner Dauerpräsenz auf Wahlkampfveranstaltungen und durch Interviews konnte der Ministerpräsident keine Pro-CSU-Stimmung verstärken.

Als er 2018 nach jahrzehntelanger CSU-Alleinherrschaft in Bayern eine Koalition mit den Freien Wählern eingehen musste, vermittelte er das Gefühl, hier komme zusammen, was zusammengehört: »Bayern-Koalition« nannte er das Gefüge. Und dieses Gefüge wurde erfolgreich nach rechts gerückt.

Die Freien Wähler, aber auch die AfD kämpften als Konkurrenten der CSU bei den konservativen Wähler*innen um Stimmen. Vor diesem Hintergrund ist das Dauerfeuer gegen die Grünen zu sehen. Aiwanger warf den Grünen vor, »Deutschland kaputtmachen« zu wollen, schimpfte auf »links-grünen Gender-Gaga« und stilisierte sich zum »Anti-Grünen«. Als besonders dankbares Publikum für Anti-Grünen-Polemik erwiesen sich die Zuhörer in den Bierzelten, die Söder und Aiwanger in diesem Wahlkampf unermüdlich abklapperten.

Die harte politische Konkurrenz von den Freien Wählern mit ihrem Rechtskurs und der AfD wird der CSU erhalten bleiben. Und die »Brandmauer gegen Rechts« wird noch löchriger werden. Gegen die »Alternative für Deutschland« wollen CDU und CSU mit einer »Agenda für Deutschland« punkten. So ist ein Papier überschrieben, das die Parteivorsitzenden Friedrich Merz und Markus Söder im Wahlkampf vorstellten. Mit zehn Forderungen sollte neben der rechten auch die grüne Konkurrenz minimiert werden.

Konkret sollen Steuern und Abgaben für Gering- und Normalverdiener reduziert, soll die Erbschaftssteuer auf das Elternhaus abgeschafft, ein »Belastungsmoratorium für Unternehmen« eingeführt, Clankriminalität schärfer geahndet und der Schutz von Frauen vor Gewalt verbessert werden. In der Migration hat laut »Agenda« zu gelten: »Solange die Aussengrenzen Europas nicht wirksam geschützt sind, müssen wir unsere nationalen Grenzen schützen.«

Im Ergebnis der Bayernwahlen konnte der Rechtstrend allerdings nicht abgeblockt werden. Söder, um keinen Superlativ verlegen, adelte die »Agenda« trotzdem zum »Sofortprogramm für Deutschland«, als stünde die Union kurz davor, in Berlin an die Macht zurückzukehren. Die zehn Punkte würden zeigen, »wie wir schnell und gut aus der Krise kommen«. Der bewusste Verzicht auf den Konjunktiv bekräftigt den Eindruck, dass die Union sich als Bündnis des Machens auch zu Oppositionszeiten begreift.

Die Christsozialen bleiben in Bayern mit 37,0% stärkste Kraft und können mit Hubert Aiwangers Freien Wählern eine stabile Koalition bilden. Das für die CSU schwache Ergebnis dürfte allerdings nicht ausreichen, damit sich Söder in der Union weiter als mächtiger Taktgeber behaupten kann – etwa in der anschwellenden Kanzlerkandidaten-Debatte.

Söders Macht muss sich weiter und stärker denn je auf die Freien Wähler stützen, trotz noch vieler offener Fragen mit Blick auf Aiwangers Flugblatt-Affäre. »Es geht nicht um einem Schönheitspreis. Es geht um eine stabile Regierung«, hatte er vorsorglich schon mal die Messlatte gesenkt. Söder hat die Wahl nicht verloren, und es zeichnet sich keine Rebellion in der Partei gegen seinen Kurs und seine Person ab. Und das mäßige Ergebnis heißt auch nicht, dass mit ihm bundespolitisch endgültig nicht mehr zu rechnen wäre. Doch ohne den Nimbus eines deutlichen Wahlerfolgs ist seine Strahlkraft deutlich zurückgenommen.

Nach den hohen Verlusten bei der Wahl 2018 hatte der Ministerpräsident eine ehrliche, schonungslose Analyse angekündigt. Diese hat er nicht geliefert und nun steht die CSU noch schlechter da, weil eine Abgrenzung gegen die rechten Konkurrenten nicht realistisch ist. Die Zukunft der Bayern-Koalition dürfte für eine weitere Periode halten, aber der Mythos von der starken bürgerlich-demokratischen Partei ist unwiderruflich dahin.

Nur die Kräfte in der Zivilgesellschaft können die weitere Ausbreitung des Rechtstrends stoppen. Das schlechte Abschneiden der bayrischen Ampelparteien wird den Druck auf die von Kanzler Olaf Scholz geführte Bundesregierung verstärken. Die AfD wie die Freien Wähler werden weiter den politischen Rechtstrend nutzen, eine weitere Erosion der Fundamente des demokratischen Kapitalismus ist zu befürchten.

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