Düsseldorf, 5. Februar 2022 | Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt

Protestwelle reißt nicht ab: Wieder Hunderttausende auf der Straße

Erneut fanden am Montag mehr als 1.500 Demonstrationen in ganz Deutschland statt. Doch die Proteste münden nicht in einen Dialog. Stadtvertreter reagieren weiter verhalten auf entsprechende Vorschläge. Multipolar hat erneut bei mehreren Bürgermeistern nachgefragt. Die Verwaltung scheint vielerorts wie gelähmt.

PAUL SOLDAN, 9. Februar 2022, 3 Kommentare, PDF

Die Montagsdemonstrationen vom 7. Februar

Erneut haben am Montag Hunderttausende gegen die Corona-Politik demonstriert. Laut offiziellen Angaben kam es zu den größten Protesten in Nürnberg (4.500 Teilnehmer, Video), Lübeck (3.500), Halle, Bautzen (Video), Ansbach und Löbau (jeweils 3.000), Pforzheim (2.500), Gera, Freiberg, Paderborn, Gotha, Bamberg und Altenburg (jeweils 2.000), Kempten (1.800), Schwerin (1.700) – laut MV-Gesamtliste des Innenministeriums –, Görlitz und Landshut (1.500) sowie in Chemnitz, Wittenberg und Neubrandenburg (jeweils 1.400).

Multipolar hat die offiziellen Gesamtzahlen der Bundesländer erneut bei den Innenministerien und Polizeidirektionen der Länder abgefragt, soweit diese nicht bereits in der Presse veröffentlicht wurden. Demzufolge demonstrierten am Montag in:

  • Baden-Württemberg (53.000 bei 330 Demos)
  • Sachsen (50.000 bei 170 Demos)
  • Bayern (48.000 bei 130 Demos)
  • Nordrhein-Westfalen (27.000 bei 171 Demos)
  • Thüringen (23.000 bei 93 Demos)
  • Brandenburg (18.000 bei 82 Demos)
  • Sachsen-Anhalt (14.800 bei 52 Demos)
  • Niedersachsen (11.000 bei 148 Demos)
  • Mecklenburg-Vorpommern (10.000 bei 34 Demos)
  • Schleswig-Holstein (8.800 bei 92 Demos)
  • Rheinland-Pfalz (7300 bei 90 Demos)
  • Berlin (4000 bei 57 Demos)
  • Saarland (1.000 bei 16 Demos)
  • Hamburg (500 bei 8 Demos)
  • Bremen (250 bei 2 Demos)

Aus Hessen lagen zuletzt noch keine amtlichen Zahlen vor. Dort demonstrierten am vorherigen Montag etwa 15.000 Menschen bei 130 Veranstaltungen.

Damit nahmen am 7. Februar bundesweit etwa 290.000 Menschen an 1.600 Demonstrationen teil. Die amtlichen Teilnehmerzahlen entsprechen damit etwa dem Protestgeschehen der Vorwoche. Die Anzahl an Demonstrationen hat dabei zugenommen, insbesondere in Baden-Württemberg (von 288 auf 330), wo zuletzt mehrere Stadtverwaltungen durch einen angedrohten Schusswaffeneinsatz gegen Teilnehmer unangemeldeter Demonstrationen Schlagzeilen machten.

Das Protestgeschehen vom 1. bis 6. Februar

Zu den größten Protest in der vergangenen Woche kam es laut offiziellen Angaben in Reutlingen (Samstag / 7.500 Teilnehmer) (Video), Düsseldorf (Samstag / 4.600 Teilnehmer), Freiburg (Samstag / 4.000 Teilnehmer), Ulm (Freitag / 3.000), Bielefeld (Freitag / 2.500 Teilnehmer), Augsburg (Samstag / 2.100 Teilnehmer), Karlsruhe (Samstag / 2.000 Teilnehmer), Ansbach (Samstag / 1.900 Teilnehmer), Saarbrücken (Sonntag / 1.500 Teilnehmer) Regensburg (Samstag / 1.400 Teilnehmer) und Wolgast (Dienstag / 1.400 Teilnehmer).

Frankfurt am Main hatte an den vergangenen Samstagen regelmäßig zu den Städten mit den größten Protesten gezählt. Am 29. Januar beteiligten sich offiziellen Angaben zufolge 4.000 Teilnehmer, wobei die Angaben stets strittig waren. Am 5. Februar lag die offizielle Teilnehmerzahl nun bei lediglich 1.000 Personen, so t-online. In einem Bericht des Hessischen Rundfunks ist hingegen von 3.000 Teilnehmern die Rede. Der Journalist Norbert Häring, der persönlich vor Ort war, schätzte die Zahl auf mindestens 9.000, die Initiative „Protest Hessen“ geht von 10.000 aus.

In Düsseldorf hatten CDU, Grüne, SPD, FDP und Linke einen gemeinsamen Aufruf gestartet, „dem Tross von Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen die rote Karte zu zeigen“. Auch einige Landes- und Bundespolitiker – etwa Mona Neubauer, Landesvorsitzende der Grünen, oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Bundestagsabgeordnete der FDP – waren diesem Aufruf gefolgt. Demnach haben Gruppen entlang des Demozugs gestanden und rote Schilder in die Höhe gestreckt. Störungen habe es kaum gegeben, so die Polizei (Video).

Bürgerdialoge – weiter verhaltene Reaktionen von Stadtvertretern

Naumburg (Saale)

In dem im Süden Sachsen-Anhalts gelegenen Burgenlandkreis hatten die Veranstalter der Montagsdemos am 22. Januar auf dem Naumburger Marktplatz ein offenes Mikrofon eingerichtet, an dem die Teilnehmer der Montagsspaziergänge ihre persönlichen Beweggründe zum Demonstrieren vortragen konnten – so eine Erklärung des Bürgergremiums „Die Bürgerstimme“. Zusätzlich war im Vorfeld eine Umfrage „Wofür gehst Du auf die Straße?“ gestartet worden. Das daraufhin initiierte Bürgergremium erstellte anhand der Umfrageergebnisse einen Forderungskatalog, der am 29. Januar in Naumburg bekannt gegeben wurde. Zu dieser Bekanntmachung seien zuvor Kommunalpolitiker, der Landrat, die Bürgermeister der Städte, in denen Montagsspaziergänge stattfinden, die Bundestagsabgeordneten des Burgenlandkreises sowie einzelne Mitglieder des Land- und Kreistags eingeladen worden. Lediglich zwei Kommunalpolitiker seien dieser Einladung jedoch gefolgt. Ihnen sei der Forderungskatalog übergeben worden, so das Gremium.

Auf Nachfrage von Multipolar gab eine Vertreterin des Gremiums an, dass sowohl der Landrat als auch der Naumburger Oberbürgermeister Armin Müller (CDU) im Vorfeld ihre Absagen mitgeteilt hatten. Multipolar fragte dazu bei der Stadt Naumburg nach. In dem übermittelten Ablehnungsschreiben an das Bürgergremium verweist Oberbürgermeister Müller zum einen darauf, dass den Kommunen zu den Corona-Maßnahmen „höchsten noch eine Kontrollfunktion“ zukomme, um „die Einhaltung der Maßnahmen zu überprüfen“, welche auf Bundes- und Länderebene beschlossen werden. Einen Gestaltungsspielraum würden Städte und Gemeinden „in diesem Gefüge“ nicht besitzen.

Weiter erklärte er, dass er „das in der Demokratie unseres Grundgesetzes verankerte Neutralitätsgebot zu wahren“ habe. Es stehe ihm daher nicht zu, sich in seiner Funktion als Oberbürgermeister auf die Seite der Befürworter oder der Kritiker der Corona-Maßnahmen zu stellen. Dennoch läge ihm viel daran, sowohl mit den Befürwortern als auch mit den Kritikern ins Gespräch zu kommen, „jedoch immer auf einer sachlichen Ebene und auch gerne unter Hinzuziehung weiterer beteiligter Akteure aus Politik und Wissenschaft“. Eine Kundgebung sei dafür weniger geeignet, da dort aufgrund von Emotionen schnell „die Sachfragen aus dem Blick“ geräten, so Müller.

In diesem Zusammenhang schlägt er einen Bürgerdialog „unter Beachtung der derzeitigen Infektionsvorschriften“ vor, da dieser „eine gute Möglichkeit“ sei, „um konstruktiv Meinungen auszutauschen und faktenorientiert zu diskutieren“. „Ich würde mich freuen, wenn Sie das Angebot einer solchen Gesprächsrunde oder eines Bürgerdialogs annehmen würden“, so der Naumburger OB in dem Schreiben an eine Vertreterin des Gremiums.

Neumünster

Die Stadt Neumünster erklärte auf Nachfrage, dass es dort „den überparteilichen Runden Tisch für Toleranz und Demokratie“ gäbe, „deren Mitwirkende ausgesprochen aktiv“ seien. Zudem habe Oberbürgermeister Tobias Bergmann (SPD) die Spaziergänger über die Sozialen Medien, die Printmedien und auch durch direkte Ansprache unmittelbar vor einem Spaziergang zum Dialog eingeladen. Schwierig sei dazu bislang „die mangelnde Bereitschaft zum Dialog“ seitens der Maßnahmen-Gegner. „Entsprechenden Bürgerdialogen steht Oberbürgermeister Tobias Bergmann mithin offen gegenüber“, so ein Sprecher.

Oranienburg

Aus dem brandenburgischen Oranienburg heißt es von einem Sprecher auf Nachfrage, dass ein Runder Tisch nicht vorgesehen sei. Oberbürgermeister Alexander Laesicke (parteilos) habe zwar „den Organisatoren der ‚Spaziergänge‘ Gesprächsbereitschaft signalisiert“, jedoch sei bislang „von beiden Seiten kein konkreter Abstimmungsbedarf wahrzunehmen“. Hürden, die einem Bürgerdialog im Weg stehen würden, gäbe es nicht, sofern „dabei eine Atmosphäre von Höflichkeit und Respekt“ vorhanden sei. Aktuell sei allerdings kein Bedarf erkennbar. In Bezug auf die Beseitigung möglicher Spannungen in der Stadt heißt es, dass der „Stadtgesellschaft sicher eine gewisse Erschöpfung aufgrund der Pandemie anzumerken“ sei, „Spannungen“ seien in der Stadt jedoch nicht vorhanden. Zudem würde sich an den Demonstrationen die deutliche Minderheit der Oranienburger beteiligen. Von den größten Oppositionsfraktionen der Stadt (SPD, CDU, AfD) erhielt Multipolar keine Rückmeldung.

Würzburg

Ein Sprecher der Stadt Würzburg teilte Multipolar auf Nachfrage mit, dass die „Corona-Maßnahmen aber auch Kritik daran unter anderem bereits Thema bei einer Bürgerversammlung“ gewesen seien, „die als hybride Veranstaltung durchgeführt wurde“. Zudem sei „ein Bericht zu Corona mit Aussprache im Plenum Bestandteil jeder Stadtratssitzung“.

Neubrandenburg

In Neubrandenburg wurde am 31. Januar die Kreistagssitzung des Landkreises Mecklenburgischen Seenplatte ohne Bürgerbeteiligung abgehalten. „Zur Eindämmung der Infektionsgefahr“ wurde die Sitzung verkürzt und die sonst stattfindende Bürger-Fragestunde gestrichen. Lange Debatten seien fehl am Platz, so Kreistagspräsident Thomas Diener (CDU) auf Nachfrage zum Nordkurier bezüglich der parallel zur Sitzung vor dem Gebäude stattfindenden Montagsdemonstration. Vertreter der Demo hatten ihre Fragen zwar auch schriftlich formuliert. Jedoch seien diese „15 Minuten zu spät“ im Kreistag eingegangen, sodass sie nicht berücksichtigt werden konnten.

Multipolar hat in diesem Zusammenhang bei den beteiligten Kreistagsfraktionen (CDU, Linke, AfD, SPD, Grüne, Die Freien) nachgefragt. Auf die Frage, ob die sonst übliche Bürger-Fragestunde nicht an einen anderen Ort, beispielsweise vor das Sitzungsgebäude hätte verlegt werden können, heißt es seitens der Linke-Fraktion, dass die Tagesordnung und den Ort der Kreistagssitzung der Kreistagspräsident festlegen würde. Eine Einladung zum Dialog habe die Fraktion nicht erhalten. Die Frage, ob die Begründung, dass die schriftlich formulierten Fragen den Kreistag zu spät erreicht hätten und daher nicht berücksichtigt werden konnten, ein Vorwand sei, um mit den Demonstranten nicht in den Dialog treten zu müssen, wurde verneint.

Von der AfD-Fraktion heißt es, dass sich die Fraktion seit Beginn der Coronakrise für eine Bürgerbeteiligung und den direkten Dialog ausspreche. So habe sie in den entsprechenden Gremien dafür geworben, „den Livestream weiterzuführen und die Fragestunde beizubehalten“. Jedoch hätten dies andere Fraktionen anders gesehen. Eine Einladung habe der AfD-Fraktionsvorsitz nicht erhalten. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass „Vertreter unserer Fraktion seit über einem Jahr auf den verschiedenen Montagsspaziergängen“ seien und „direkt vor Ort mit den Menschen“ sprechen würden. Eine entsprechende Einladung zum Dialog seitens der Neubrandenburger Organisatoren würde die Fraktion annehmen. Zur verspäteten Einreichung der Fragen wurde auf das Kreistagspräsidium und die Verwaltung verwiesen, da diese jene Entscheidung getroffen hätten.

Ein Mitglied der CDU-Fraktion gab dazu an, dass man jederzeit gesprächsbereit sei zu allen Themen, „die den Landkreis betreffen und in der Regelungskompetenz des Kreistags liegen“. Die durch Bund und Länder angeordneten Regelungen würden diese Regelungskompetenz jedoch „bei Weitem“ überschreiten. Zur verspäteten Einreichung der Fragen wurde auf den Kreistagspräsidenten verwiesen.

Seitens der Grünen-Fraktion heißt es, dass „Sinn und Zweck der Einwohnerfragestunde ausdrücklich nicht“ sei, „längere Debatten zu führen“. Zudem hätten die Fragesteller in der Vergangenheit die Vorgaben dieser Fragestunde – Zuständigkeit des Landkreises, kein Beinhalten von Wertungen, Möglichkeit der kurzen und sachlichen Beantwortung – „häufig nicht eingehalten“. Eine Fragestunde sei am 31. Januar nicht auf der Tagesordnung gewesen. Demnach hätten Fragen schriftlich eingereicht werden können. Eine Verlagerung an einen anderen Ort sei nicht in Frage gekommen, so der Fraktionsvorsitzende. Prinzipiell sei die Kreistagsfraktion der Grünen „selbstverständlich bereit“, über Angelegenheiten des Kreises zu diskutieren. Jedoch stehe sie „nicht dafür bereit, Politikfrust über die Landes- und Bundesebene für Dinge abzufangen“, die ihre „Zuständigkeit in keiner Weise“ berühre. Zur verspäteten Einreichung der Fragen wurde ebenso auf den Kreistagspräsidenten verwiesen. Von den restlichen Fraktionen erfolgte keine Rückmeldung.

Kaiserslautern

Aus Kaiserslautern heißt es auf Nachfrage lediglich, dass „derzeit keine Bürgerdialogveranstaltungen geplant sind“. Auch hier erhielt Multipolar von den größten Oppositionsfraktionen der Stadt (CDU, Grüne) keine Rückmeldung.

Fulda

Aus Fulda äußerte ein Sprecher auf Nachfrage, dass es für die „Durchführung eines öffentlichen Bürgerdialogs“ bislang keine Veranlassung gäbe. „Die Stadtspitze in Fulda befindet sich über verschiedene Kanäle im ständigen Austausch mit Fuldaer Bürgerinnen und Bürgern.“

Ein demonstrierender Ex-Innenminister

Mit einer Teilnahme an einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen hat Brandenburgs ehemaliger Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) für Schlagzeilen gesorgt. In seiner Heimatstadt Hohen Neuendorf (Kreis Oberhavel) hatte Schröter kürzlich gemeinsam mit anderen Bürgern demonstriert, um gegen die 2G-Regelungen zu protestieren: „Ich tue das, weil ich der Überzeugung bin, dass die 2G-Regelungen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind“. Von negativ Getesteten würde keine Gefahr ausgehen. Der ehemalige Innenminister sprach sich außerdem gegen eine allgemeine Impfpflicht aus: „Jeder sollte selbst entscheiden können, ob eine Impfung für ihn richtig ist“. Zum Spektrum der Demonstranten erklärte er: „Ich habe keinen gesehen, der dort extremistisch aufgetreten ist“.

Julia Schmidt, Landesvorsitzende der Grünen, bezeichnete es als „ziemlich erschreckend“, wenn ein ehemaliger Innenminister auf Anti-Corona-Maßnahmendemos mitlaufe, da diese „oft von rechtsextremistischen Netzwerken veranstaltet“ würden. Die Demo-Organisatoren kontern, Schmidts Äußerungen zeugten „von einer tiefen Sachunkenntnis über Teilnehmer, Organisatoren und generell den Ansatz grundrechtsorientierter Maßnahmenkritik“, so ein Schreiben eines Orga-Mitglieds, das Multipolar vorliegt. Zur Beilegung des Konflikts wurde die Grünen-Abgeordnete zu einem Gespräch eingeladen. Multipolar hat in diesem Zusammenhang bei Julia Schmidt nachgefragt, bislang ohne Antwort.

Kontrollverlust in Sachsen?

Die Sächsische Sozialministerin Petra Köpping hat kürzlich in einem Podcast dem Politikwissenschaftler Hans Vorländer zugestimmt, dass Sachsen in Teilen faktisch „unregierbar“ sei, da sich nicht alle Kommunalpolitiker deutlich gegen das Protestgeschehen stellen und einige sich sogar mit diesem solidarisieren würden. "Wenn ein staatlicher Bediensteter sagt, er wird Gesetze nicht vollziehen, dann ist das eine Handlung, die nicht mehr auf unseren demokratischen Grundlagen basiert", so Köpping. Sachsens Innenminister Roland Wöller erklärte dazu: "Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der eine oder andere kommunale Verantwortliche nicht so handelt, wie man sich das vorstellt“.

Die Sächsische Polizeigewerkschaft teilt Köppings These von der Unregierbarkeit nicht. Die Vorsitzende Cathleen Martin erläuterte, dass man nicht beurteilen könne, was mancher Bürgermeister tue, die Polizei setze die Corona-Maßnahmen jedoch überall um. Der Sächsische Städte- und Gemeinderat kritisierte Köppings Äußerungen. „Die These ist aus meiner Sicht nicht nur falsch, sondern auch eine riesige Enttäuschung, denn damit macht nicht zuletzt ein Mitglied unserer sächsischen Staatsregierung deutlich, dass es den Mut und die Kraft verloren hat, Sachsen gut aus der Pandemie herauszuführen“, so Bert Wendsche, Präsident des Verbands und Bürgermeister von Radebeul.

Dazu erklärte Köpping am 1.Februar: "Es würde uns in Sachsen vieles leichter fallen, wenn wir alle an einem Strang ziehen würden. Da meine ich alle Ebenen, jeden, der Verantwortung trägt“. Weiter sagte sie: "Natürlich ist Sachsen nicht unregierbar – das ist ganz klar, aber wir haben viele Schwierigkeiten."

Unterschiedliche Gerichtsurteile zu Demonstrationsverboten

Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht hat am 3. Februar seine Entscheidung aus einem Eilverfahren von Anfang Januar bestätigt, wonach das durch die Stadt Düsseldorf erlassene Verbot eines Demonstrationszugs rechtswidrig war. Am 8. Januar hatte die Stadt einen Umzug durch die Innenstadt aufgrund des Infektionsschutzes verboten und lediglich eine stationäre Kundgebung genehmigt. In einem Eilverfahren hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf dieses Verbot jedoch gekippt. Der Aufzug durfte stattfinden. Nun hat das Gericht diese Entscheidung bestätigt, seine Begründung aber korrigiert. Demnach darf die Stadt weiter solche „Auflagen anordnen“, nur müsse sie diese schlüssig und anhand konkreten Zahlenmaterials begründen.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat der Stadt Karlsruhe in einem unanfechtbaren Beschluss Recht gegeben, unangemeldete „Montagsspaziergänge“ präventiv verbieten zu können. Ende Januar hatte das Verwaltungsgericht Karlsruhe dieses Verbot zunächst gekippt, da die Stadt selbst davon ausgehe, dass an Montagen planmäßig nicht angemeldete Versammlungen stattfinden würden, weshalb sie auch ausreichend Zeit hätte, sich angemessen darauf vorzubereiten.

Portrait: Peter Mayer – ein Ex-Polizist wird „Spaziergänger“

Peter Mayer, 56, kennt beide Seiten von Demonstrationen. Zum einen als ehemaliger Polizist die Seite des Staates, zum anderen die Seite der Demonstranten, die gegen staatliche Entscheidungen auf die Straße gehen und zu denen er heute selbst zählt – das erste Mal Anfang Juni 2020. „Es fühlte sich wirklich sonderbar an und ich hätte damit im Leben nicht gerechnet“, erklärt er dazu gegenüber Multipolar.

Aufgewachsen in Kaufbeuren (Allgäu) im äußersten Südwesten Bayerns, lebt er heute nur wenige Kilometer entfernt. Von 1983 bis 1992 war er Polizist, die letzten vier Jahre bei der Spezialeinheit GSG 9. Es folgte eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann. Heute arbeitet Mayer als Sachbearbeiter in einem Handwerksbetrieb.

„Prägend in meiner Kindheit waren ein starker Gerechtigkeitssinn, ein herzensguter Pfarrer im familiären Umfeld und ein Hang zur Literatur. Hermann Hesse war als Heranwachsender eine Art Vorbild für mich.“ Schon immer sei er ein politisch interessierter Mensch gewesen, „aber nie aktiv tätig“. „Ungereimtheiten und Zweifel an der öffentlichen Berichterstattung begannen bei mir mit den Geschehnissen rund um den Jugoslawien-Konflikt, den Anschlägen 2001 in Amerika und den folgenden Konflikten in Afghanistan und im Irak. Seitdem habe ich immer mehr Zweifel am Wahrheitsgehalt der sogenannten öffentlichen Meinung. Das steigerte sich dann immer mehr bis hin zur Corona-Krise.“

Am Anfang wäre manches unklar gewesen, jedoch sei für ihn nach kurzer Zeit deutlich geworden, dass vieles nicht stimmig sei und die Maßnahmen „nicht verhältnismäßig“. Für einen Polizisten stehe die Verhältnismäßigkeit der zu treffenden Maßnahmen immer im Mittelpunkt des Handelns: „Ich kann niemanden erschießen, der bei Rot über die Ampel fährt.“

Am meisten stören ihn Aussagen von Politikern zur angeblich zunehmenden Gewalt bei den Demonstrationen, und dass sich dort Rechte und Reichsbürger tummeln würden und die Veranstaltungen von diesen vereinnahmt würden. „Ganz und gar unzutreffend, ja sogar grotesk sind die Aussagen von Herrn Söder über eine sogenannte Corona-RAF. Ich habe bei der GSG 9 mit der RAF zu tun gehabt und ich kann beim besten Willen heute weit und breit nicht mal im Ansatz etwas in dieser Art erkennen. In meine Zeit bei der Polizei fielen die Proteste gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Gefühlt habe ich dort jedes Wochenende Dienst geleistet, auch Weihnachten und Silvester. Dort fand wirklich Gewalt statt, von beiden Seiten. Pfingsten 1986 (Pfingstschlacht) eskalierte das alles, ich war damals auch vor Ort. Ich für meine Person als junger Polizist mit damals 21 Jahren kann sagen, dass ich an diesem Wochenende wirklich Angst hatte.“ Vielen Kollegen sei es ebenso gegangen, sagt er. „Es fühlte sich an, wie ein Bürgerkrieg auf kleinstem Raum. Nun stelle man sich vor, solche Geschehnisse würden heute stattfinden. Man kann sich nicht ausmalen, was dann von Presse und Politik daraus gemacht werden würde.“

Für ihn stehen die Maßnahmen in keinem vernünftigen Verhältnis zur Gefahr. „Wir nehmen Kollateralschäden in Kauf, die viel größer sind als die Bedrohung durch das Virus selbst.“ Exemplarisch erläutert Mayer dies anhand eines am 29. Januar erschienenen Berichts in der Allgäuer Zeitung. Laut diesem sind in Kaufbeuren seit März 2020 86 Menschen mit einem Durchschnittsalter von 84 Jahren mit oder an Corona gestorben. „An dieser Stelle müssten wir eigentlich alle Maßnahmen aufheben und wieder zu unserem normalen Alltag zurückkehren. Wir dürften unsere Kinder nicht weiter mit Maßnahmen quälen, müssten bei der älteren Bevölkerung zielgenaue Maßnahmen finden, denn diese sind tatsächlich gefährdet. Der Rest soll sein normales Leben wiederhaben. Es ist beschämend, was wir unseren Kindern antun, es ist beschämend, dass wir Menschen alleine sterben lassen, weil wir niemanden am Ende ihres Lebens zu ihnen lassen.“

Zum Thema Demonstrationen und seiner Aktivität dazu höre Mayer aus seinem Umfeld häufig: „der Staat wird schon wissen was er tut“, „man kann sowieso nichts ändern“, „ich will mich nicht damit beschäftigen“ oder „hab genug mit mir zu tun“. „Nichts wird hinterfragt, alles einfach hingenommen und ausgeführt. Niemand will aus dem Kollektiv ausscheren und Ärger bekommen. Gesprächsversuche enden oft mit einem abrupten Ende, oft werden sie auch aggressiv, so dass man das Thema besser vermeidet.“

Dafür sei hingegen der Kontakt mit Gleichgesinnten stärker geworden, so Mayer. „Die Spaziergänge sind etwas Wunderbares“, antwortet er auf die Frage nach seinen Zielen und Wünschen. Für ihn sind diese Zusammenkünfte ein starkes Zeichen, die auch in der Politik Wirkung zeigten. „Gerade dadurch, dass man mit aller Macht versucht, sie zu kriminalisieren, zeigt sich ihr Gewicht. Hier habe ich große Hoffnung, dass sich etwas ändern kann. Deshalb sollten wir dranbleiben.“ Sein größter Wunsch ist, dass die Demonstrationen weiter friedlich bleiben. „An friedvollen Protesten kommt auf Dauer keiner vorbei. Und dann kann auch eine öffentliche Meinung drehen.“

Über den Autor: Paul Soldan, Jahrgang 1988, war nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen bis zum Jahr 2017 für verschiedene Finanzdienstleistungsunternehmen in Hamburg tätig. Von 2018 bis 2021 arbeitete er am Volkstheater Rostock, unter anderem als Regieassistent. Seit Anfang 2022 schreibt er regelmäßig für Multipolar über das Demonstrationsgeschehen in Deutschland.

HEIDE HAGEN, 9. Februar 2022, 20:05 UHR

Lieber Paul Soldan, ich lese Ihre Artikel immer mit dem größten Vergnügen! Sie schreiben klar und sachlich. Ihre Recherche-Arbeit ist beeindruckend. Ich fühle mich rundum informiert. Das ist für mich exzellenter Journalismus. Vielen, vielen Dank!

GERT GREINER, 10. Februar 2022, 08:10 UHR

@Heide Hagen … Ihrem Kommentar kann ich mich nur vollumfänglich anschließen, und auch ich möchte an dieser Stelle sagen: Herr Soldan, vielen, vielen Dank!

AYU, 11. Februar 2022, 22:20 UHR

Dito mit den Kommentaren davor!

Zudem möchte ich auf zwei Situationen auf der letzten (angemeldeten, mit Maskentrageauflageeinhaltungvorgabe) Montagsdemo hinweisen, welche durchaus weitere Verbreitung finden können: An Gegendemonstranten vor Ort wurde sachlich aber lautstark u.a. das Argument "Zeigt uns die Nazis, damit wir sie ausschließen können!" gerichtet. Und ferner wurde dies auch an lokale Pressevertreter, welche entsprechend stark abwertend und entstellend über, statt realistisch von den Demos berichten, dort allerdings noch nicht gesehen wurden oder selbst angeben, dem tunlichst fernzubleiben, mit einer offenbar wiederholten Einladung verbunden, sich einen Eindruck der Teilnehmer (und bspw. deren Beweggründe) vor dem Schreiben doch direkt auf der Demo zu machen. Nun, gerade bei regelmäßigen Berichten aus, für und über die nähere Umgebung kann die Beschreibung einer Situation, wo sich ebenso regelmäßig mindestens mehrere hundert Menschen auffinden, glaubwürdigkeittechnisch durchaus schnell daneben gehen.

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