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Clemens Setz
Clemens Setz
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Max Zerrahn

Clemens Setz über seine Beschneidung »Mit 22 wurde mir die Vorhaut entfernt. Vorher war der Sex eindeutig besser«

Hätte ich vor zwanzig Jahren einen Artikel wie diesen hier lesen können, hätte ich keinen Chirurgen an mir herumschneiden lassen. Es wäre mir einiges erspart und etwas Unentbehrliches erhalten geblieben.

Immer wieder begegnet man im Internet Berichten über junge Frauen, die vor etwa neunzig oder hundert Jahren zum sechzehnten oder einundzwanzigsten Geburtstag eine vollständige Entfernung aller Zähne geschenkt bekamen. Es gibt einige Artikel über diesen bizarren, damals vor allem in den USA und in Europa verbreiteten Brauch, auch in Biografien wird er gelegentlich als etwas ganz Alltägliches erwähnt. Die Entfernung aller Zähne wurde in den meisten Fällen damit begründet, dass dem Ehemann so spätere Zahnarztkosten erspart würden. Außerdem versprach man sich davon eine Vorbeugung gegen alle möglichen psychischen Probleme, wie Melancholie, Lethargie oder Angstzustände. Aber egal, was genau als Grund galt, es ergab für alle Beteiligten Sinn, es erschien tugendhaft und wünschenswert, es war ein Akt der Fürsorge.

Mit diesem historischen Beispiel als Rückendeckung möchte ich nun gerne über meinen Penis sprechen. Ich weiß, das ist kein Thema für einen Artikel, und jedem steht es frei weiterzublättern, aber ich hätte mir viel sinnloses Leid erspart, hätte ich vor zwanzig Jahren einen solchen Artikel gelesen, der an mich, den ahnungslosen Jugendlichen, adressiert gewesen wäre. Die Aufklärung von Männern tritt bekanntlich auf der Stelle oder ist überhaupt zum vollständigen Erliegen gekommen, was man allein daran ablesen kann, dass die allermeisten heterosexuellen Männer nichts über ihre Prostata, geschweige denn deren Stimulation wissen. Trotz lehrreicher Pornografie ist immer noch vieles umgeben von Dunkel, Geheimnis und Gekicher.

Schon als Jugendlicher hatte ich bemerkt, dass meine Vorhaut zu eng war. Sie rutschte bei Erektion nicht zurück, sondern blieb vorne hängen. Ich war mir nicht ganz sicher, was das bedeutete. Schmerzen hatte ich nie, auch bei Erektionen nicht, aber ich musste mich manchmal konzentrieren, um beim Masturbieren nicht schon nach wenigen Minuten fertig zu werden, da der Reibedruck immer recht stark blieb. Außerdem sah es, wie man mir versicherte, vollkommen unmöglich aus. Wie der vorne zugezogene Kapuzenkopf von Kenny in »South Park«.

Logischerweise begann ich mich, mit dem Erwachen der Sexualität, sehr für diesen missgestalteten Körperteil zu schämen, sodass ich es lange Zeit vermied, vor irgendjemandem nackt zu sein. Je länger ich damit wartete, einer Person von »meinem Problem« zu berichten, desto unmöglicher wurde es, das Problem überhaupt zu benennen.

Der Ärmel wird gekürzt

So kam es, dass ich erst mit zweiundzwanzig, durch eine länger andauernde, heftig juckende Infektion zum Urologen getrieben, von diesem die Diagnose und sofort auch die entsprechende Überweisung zur Operation erhielt. Der Grund für die Entzündung sei meine enge Vorhaut, sagte er. Solange die da sei, würde das »immer wiederkommen«. Einzige Lösung: Entfernung.

Zwei Wochen später war ich in der Klinik. Eine Krankenschwester erledigte mit mir die Einreiseformalitäten. Sie fragte nach Essgewohnheiten und Schlafstörungen und scherzte über die bevorstehende Prozedur. Man werde mir sozusagen den Ärmel kürzen. Sie machte es pantomimisch vor. Vor dem ärztlichen Aufklärungsgespräch musste ich Fragebögen ausfüllen. Auf ihnen erwarteten mich riesenhafte stilisierte Penisse, die alle sehr hilflos und verloren aussahen.

Die Spalte mit den grauenvollen Splatterszenen, also den möglichen postoperativen Folgen und Komplikationen, las ich mehrere Male durch. Das Aufklärungsgespräch selbst bestand aus der freundlich gestellten Frage des Oberarztes: »Ist Ihnen irgendwas unklar?« Ich fragte ihn, ob es wirklich notwendig sei, meine gesamte Vorhaut zu entfernen. »Das entscheide nicht ich, sondern der Chirurg«, erklärte er. Ich hätte darauf nicht eingeschüchtert schweigen sollen.

Am Nachmittag verpasste man mir ein Paar Thrombosestrümpfe, die so eng waren, dass man das durchaus angenehme Gefühl hatte, bis zu den Knien in Sand festzustecken. Ich schluckte eine Beruhigungstablette. Ein Pfleger, der das schicksalsgegerbte Gesicht eines Sherpas hatte, holte mich ab und führte mich durch den Gang, vorbei an der geheimnisvoll erleuchteten Schwesternstation, dann folgten mehrere automatische Türen, und langsam begann sich alles in Unsinn aufzulösen. Wir kamen an vielen verarzteten und verbundenen Menschen vorbei, die wie gebrochene Pilger umherschlichen. Alles ergab wieder irgendwie Sinn, und ich kicherte albern vor mich hin, trotz der Angst. Schließlich ein langer weißer Korridor, der so sehr an bekannte Darstellungen von Nahtoderfahrungen erinnerte, dass ich im Liegen leise zu singen begann.

Wir hielten in einem menschenleeren Gang, auf beiden Seiten große Tempeltüren aus Metall. Aus einer Tür, die sich nun schwerfällig und hydraulisch öffnete, kamen ein paar maskierte Gestalten, die wie die Hochtechnologie-Version von Perchten oder Mummenschanzfiguren aussahen. Die Anästhesistin war freundlich, sie massierte mir sogar, hinter mir stehend, ein wenig die Kiefer, weil mir diese unkontrollierbar zu zittern begonnen hatten. Man leitete mir das Schlafmittel in die Vene und ermahnte mich, an etwas Angenehmes zu denken.

Als Nächstes sah ich helle, grün überwachsene Tempelanlagen, dann Soldaten mit blauen Gesichtern, die auf mich zurannten und in meiner Brust verschwanden. Es war wunderschön. Das entzückende Gesicht einer Schwester ging immer wieder als Stummfilm-Mond über mir auf, dazu bewegten sich ihre Lippen. Wahnsinn! Ich bemühte mich, ihr zu folgen, denn ich wusste, dass sie mit mir »sprach« und dass es wahrscheinlich wichtig war, die an mich gerichteten Signale zu empfangen.

Jetzt nur keine Erektion bekommen

Als ich wieder denken und sprechen konnte, meldete sich Harndrang. Die Schwester kam und wühlte in mir – mein Körper bestand angenehmerweise aus weißem Teig – und holte den betreffenden Körperteil hervor. Ich erkannte, dass er riesenhaft und unförmig war, fast breiter als lang. Sie hielt das Ding in eine Art durchsichtiger Feldflasche. »Versuchen Sie's. Aber es wird noch nicht gehen.«

Ich versuchte mich zu entspannen und den Harndrang loszuwerden, aber in mir blähte sich nur ein Wasserballon. Dann bekam ich wieder Schmerzmittel und durfte mit den kühlen Flammen spielen, die anmutig zwischen meinen Fingern hin und her sprangen. Ich kicherte und sagte innerlich vergnügt Gebete auf. Später entdeckte ich sogar einen Kometen an der Zimmerwand.

In diesem Zustand wurde ich der Nachtschwester übergeben. Sie war bestimmt nicht älter als neunzehn Jahre, und sie wickelte meinen übel zugerichteten Penis mit sichtlichem Ekel, ja sogar unter kopfschüttelndem Kichern aus seinem Verband, und da fiel er, ich spürte es schmerzhaft, auf meinen Bauch, in das Drahtnest aus Schamhaaren, die ich vergessen hatte abzurasieren. Ich fragte sie, wie viel von meiner Vorhaut entfernt worden sei, und sie sah tatsächlich genau nach (ich spürte die Drehungen) und verkündete: »Schaut aus, als wäre alles weg!« Und als sie ging, sagte sie: »Jetzt nur noch aufpassen, dass man keine Erektion in der Nacht bekommt.«

Nein, ich erfinde das nicht. Ich bin Autor. Würde ich nachträglich irgendwas erfinden wollen, es wäre nicht ein derart plakativer Satz. – Irgendwann nach Mitternacht erwachte ich dann in einem kleinen See aus Blut. Ich läutete nach der Schwester. Der Tupfer, der vor ein paar Stunden um mein Glied gewickelt worden war, war jetzt ein dunkelrot tropfendes Knäuel. Die Schwester kam und half mir. »Stimmt«, sagte sie, »die Vene ist ja jetzt durchtrennt. Da kommt das durch.« Ich musste nun wirklich dringend auf die Toilette und richtete dort, kurz gesagt, eine entsetzliche Sauerei an.

Es blutete nun fast jede Nacht auf die gleiche Weise, für etwa eine Woche. Dann ein Monat aus Verbandswechseln und Kamillenbädern. Ich ging auf die Universität, humpelte dort cowboybeinig umher und hatte Schwierigkeiten, mich hinzusetzen. Die Leute fragten mich, was los sei, und ich antwortete wahrheitsgemäß. Die meisten fanden das total irre. »Als Erwachsener?« – »Ja, ich hab wohl zu lang gewartet.« Eine Germanistikstudentin fragte mich in besorgtem Ton, ob ich denn die Religion gewechselt hätte. Ich machte den Test und nickte. Sie machte »Oh« und hielt sich eine Hand vor den offenen Mund.

Großer Gefühlsverlust

Nach etwa acht Wochen sah das Ganze etwas besser aus. Sehr sonderbar fand ich allerdings, dass man mir nicht bloß die Vorhaut gekürzt, sondern den »Ärmelrand« obendrein noch unten an den Schaft angenäht hatte, wodurch mein Glied jetzt, wie ein Plastikdildo, über gar keine hin- und herziehbare Haut mehr verfügte. Aber immerhin war das Gefühl wieder da. Sogar recht stark! Ich fühlte mich dauererregt. Dies hielt etwa ein bis zwei Monate an. Dann verschwand das Gefühl rasch, und alles wurde taub, gefühllos und blieb so.

Masturbation wurde zu einer sehr schwierigen Arbeit. An einigen wenigen Stellen leiteten die verbliebenen Nervenreste noch irgendeinen verlorenen erogenen Impuls weiter, den ich, nach langer Übung, innerlich festzuhalten, zu verstärken und zu verwenden lernte. Insgesamt würde ich den Verlust an Gefühl mit etwa 90 Prozent angeben.

Zusätzlich entstand eine interessante neurologische Körpergrenzen-Illusion. Da die Nerven alle entfernt wurden, habe ich, wann immer meine Erektion in ihrer ganzen Länge umschlossen und stimuliert wird, das Gefühl, als besäße ich nur einen wenige Millimeter kurzen Stumpf, auf dem ganz minimal hin und her gerutscht wird. Erst wenn ich hinblicke, korrigiert mein Gehirn sofort den Eindruck, und ich interpretiere meine Längenverhältnisse wieder korrekt. Wenn ich dann die Augen schließe, kehrt die kuriose Stauchungsillusion nach einer Weile zurück.

Ich kenne also Sex mit und ohne Vorhaut. Und um gleich das Offensichtliche klarzustellen: Mit Vorhaut ist er um Welten intensiver. Gar kein Vergleich. Die meisten beschnittenen Männer kennen diesen Unterschied allerdings nicht, da die Operation, ob medizinisch oder religiös begründet, an ihnen im Kindesalter vorgenommen wurde. Ihr Gehirn vernetzt sich daher, wie man annehmen darf, schon zu Beginn der Pubertät sozusagen zu hundert Prozent mit den bestehenden Nervenenden – und der sexuelle Genuss wird niemals als vermindert erlebt. Insofern kann man festhalten, dass man sie keiner Genussfähigkeit beraubt.

Der Brauch, gesunde Babys zu beschneiden, erschließt sich mir dennoch nicht im Geringsten, denn er scheint mir weder der Abwehr eines drohenden noch der Korrektur eines bestehenden Unheils zu dienen. Seine Häufigkeit in so vielen Kulturen der Welt lässt mich immer wieder staunen.

Eine halbe Stunde täglich dehnen

Also, lieber Jugendlicher in derselben Situation: Sollst du dir deinen skandalös gestalteten Penis zurechtschneiden lassen? Oder ist am Ende doch alles in Ordnung mit dir? Das hängt natürlich vom Grad der Verengung ab. Mein Rat wäre in jedem Fall: Schau dir erst einmal die Alternativen an. Die kannst du sogar, falls du, wie ich, große Scham empfindest, geheim und ganz für dich ausprobieren.

Bevor ich sie nenne, hier die wichtigste Frage an den Leser oder die Leserin: Könnten Sie irgendeine Alternative zur totalen operativen Entfernung der Vorhaut aus dem Gedächtnis nennen?

Ich konnte es bis vor ein paar Jahren auch nicht.

Und warum sind diese Alternativen so unbekannt? Geheimnis, Dunkel, Gekicher. Es ist ziemlich absurd. Als wäre Zähneputzen eine obskure, nur in irgendwelchen Foren diskutierte Technik, während das Entfernen aller Zähne als die normale Lösung gälte.

Also, da ist zuerst einmal Stretching, unterstützt von Kortisonsalbe. Dazu kannst du Hunderte Menschen auf Foren befragen. Sie werden dir bestätigen, dass es sehr gut funktioniert hat, auch in Fällen von ausgeprägter Phimose. Wenn du täglich ins Fitnessstudio trainieren gehen und dich dort stretchen kannst, dann kannst du auch deine Vorhaut dehnen. Halbe Stunde am Tag genügt. Und du kannst es sogar mit Masturbation kombinieren. Also schau nicht so verzagt.

Falls du keine Lust zur manuellen Dehnung hast, kannst du die Aufgabe auch an spezielle Dehnungsringe übergeben, die man unter die Vorhaut schiebt und deren Umfang man in kleinen Schritten erhöht. Die trägst du unter der Kleidung, und keiner bekommt irgendwas mit. Dünnes Gewebe wie die Vorhaut kann in fast allen Fällen weit gedehnt werden. Denk an Ohrläppchen. Betrachte es als »body modification«. Paar Monate, dann sollte es gehen.

Erst der nächste Schritt sollten dann minimale operative Eingriffe sein, bei denen der Großteil der Vorhaut erhalten bleibt. Die »totale Zirkumzision« müsste, so wie ich das nach langem, grimmigem Studium der Materie sehe, praktisch gar nie angewendet werden. Selbst bei der im Alten Testament erwähnten Beschneidungspraxis entfernte man lediglich das Akroposthion, also den obersten Teil der Vorhaut. Wozu auch je das Frenulum entfernen? Kompletter Unfug. Es erfüllt eine wichtige Aufgabe, es hat Sinn, es ist ein richtiges kleines Nervenzentrum.

Zieh vielleicht auch die Möglichkeit in Betracht, dass, abgesehen von erhöhtem Pflegebedarf der verengten Hautstellen, eigentlich nichts – ich wiederhole –, gar nichts an deiner Physiologie falsch ist und dass man nicht alle empfindsamen Stellen deiner Genitalien entfernen muss, nur damit dein Penis aussieht wie alle anderen. Ich weiß, das ist nicht so leicht zu akzeptieren. Aber glaub einem älteren Mann ohne Nervenenden.

Und was ist mit dem oft genannten Aspekt der Übertragung von Geschlechtskrankheiten? Es stimmt, dass »laut Studien« irgendeine Krebsart tatsächlich nicht mehr auftreten kann, wenn die Vorhaut, auf der sie gedeiht, fehlt. Und HIV? Ja, das wird, laut tausend Artikeln im Internet, »weniger leicht« übertragen. Mag alles sein. Aber das sind komplett absurde Gründe. Verminderte Viruslast, meinetwegen, aber so what, es ist als echte HIV-Prophylaxe vollkommen ungeeignet. Testet euch beide vorher, verwendet Kondome. Alles andere ist und bleibt russisches Roulette. Und klar, du kriegst auch keinen Krebs im Bein, wenn du vorher das Bein entfernst.

Und das kosmetische Argument? »Viele Frauen/Männer mögen den Anblick eines beschnittenen Glieds lieber.« Das hört man in der Tat immer wieder. Aber, mit Verlaub, das ist deren Problem, nicht deines. Und etwaige Entzündungen der Eichel? Simple Lösung: Hygiene. Lern, dich besser zu pflegen.

Ich hätte die Nervenmagie gern zurück

Selbst wenn du, anders als ich damals, Schmerzen bei Erektionen hast und dir eine operative Behandlung daher sinnvoll vorkommt, bitte, sei nicht so fügsam und brav und unmündig wie ich, sondern informiere dich vorher ausführlich über weniger radikale Versionen der operativen Korrektur deiner Vorhaut. Google: »preputialplasty«. Google: »v-flap circumcision« oder »z-shape circumcision«. Es gibt kaum Fälle, in denen es wirklich unausweichlich ist, alles zu entfernen. Ich hatte damals auch schon Internet. Aber ich dachte einfach, die Medizin hätte das Problem schon längst gelöst.

Wenn sie so übertrieben ist, woher kommt dann eigentlich die heute praktizierte vollständige Zirkumzision? Sie wurde Ende des 19. Jahrhunderts erdacht, um Buben wie dich und mich vom Masturbieren abzuhalten. Alle medizinischen Begründungen wie »viel hygienischer« oder »weniger STD-Übertragung« wurden erst nachträglich drangehängt. Ich glaube, wir haben großes Glück, dass diese nun glücklicherweise wieder abgeflaute Mode der Beschneidung aller Neugeborenen nicht erst heute, im Zeitalter von Twitter, aufkommt, wo einem ihre wissenschaftlich zweifelsfrei erwiesenen Vorteile von tausend Influencern pausenlos um die Ohren gepfeffert würden. »Just cut it!«

Ist das erotische Leben ohne Vorhaut ruiniert? Keineswegs. Aber das Erlebnis prägte, glaube ich, meine Einstellung gegenüber medizinischer Praxis im Allgemeinen. Nicht immer haben Ärzte das Beste für dich im Sinn, sondern lediglich das Schnellste oder das, was verlässlich Geld bringt. Wann das so ist und wann nicht, ist nie leicht zu bestimmen. – Und nein, das ist jetzt kein Code für die mRNA-Impfungen , denn eine Vorhautverengung ist nicht im Geringsten eine Angelegenheit von Leben oder Tod. Auch die Zähne der zu Anfang erwähnten jungen Frauen waren keine Frage von Leben und Tod. Da bringt selbst die leidenschaftlichste Skepsis niemanden in ernsthafte Gefahr.

Ich schwelge nicht gern in der Tragik unwiederbringlich verlorener Dinge, aber klar, wenn man mich fragt, hätte ich den alten Reichtum an Empfindung und Nervenmagie schon ganz gern zurück. Es war ein grotesker Fehler, sich einfach alles wegschneiden zu lassen. Mach also nicht denselben Fehler wie ich, Junge. Schau nicht blöd drein, sondern informiere dich. Sprich mit Leuten, die es erlebt haben. Die herrschende Kultur ist nicht dein Freund. Du musst ihr deinen Körper nicht opfern.

Dieser Text von Clemens J. Setz erschien zuerst in der »Neuen Zürcher Zeitung« in der Reihe »Was mich bewegt«.