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Trainierte Immunität

Grippeimpfung könnte auch vor Covid-19 schützen

Wer sich im vergangenen Winter gegen Grippe impfen ließ, hatte während der ersten Welle der Corona-Pandemie ein geringeres Infektionsrisiko für SARS-CoV-2 als Ungeimpfte, zeigt eine aktuelle Studie aus den Niederlanden. Der Grund könnte ein Training des Immunsystems sein.
Christina Hohmann-Jeddi
30.10.2020  15:00 Uhr

Schon seit Längerem ist bekannt, dass Impfstoffe nicht nur gegen den eigentlichen Zielerreger schützen können, sondern als eine Art Kreuzprotektion auch gegen andere Erreger. Ein Beispiel ist der Tuberkulose-Impfstoff Bacillus-Calmette-Guérin (BCG), der vor einer Reihe anderer Infektionen zumindest partiell schützen kann. Solche unspezifischen Effekte scheinen Studien zufolge auch der Masernimpfstoff, der Pockenimpfstoff und der Schluckimpfstoff gegen Polio zu haben.

Als Grund für den Effekt wird ein Training des Immunsystems angesehen. So zeigten Proof-of-Principle-Studien mit der BCG-Vakzine bei Erwachsenen und Kindern, dass diese eine unspezifische Aktivierung der Zellen des angeborenen Immunsystems induziert. Ob eine BCG-Impfung auch gegen Covid-19 hilft, wird derzeit in Studien untersucht.

Auch eine Grippeimpfung könnte einen gewissen Schutz gegen SARS-CoV-2-Infektionen bieten. Darauf wiesen mehrere epidemiologische Studien aus der laufenden Pandemie hin, berichten Wissenschaftler um Priya A. Debisarun von der Radboud Universität in Nimwegen und Kollegen von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf in einer Preprint-Veröffentlichung auf dem Server »MedRxiv«. Die Forscher untersuchten daher, wie hoch das Corona-Infektionsrisiko bei gegen Grippe geimpften Personen im Vergleich zu Ungeimpften ist.

Hierfür analysierten sie die Daten von etwa 10.600 Mitarbeitern des medizinischen Zentrums der Radboud Universität, von denen sich 184 mit dem SARS-Coronavirus-2 angesteckt hatten. Der Analyse zufolge infizierten sich 2,23 Prozent der ungeimpften Mitarbeiter und 1,33 Prozent der Mitarbeiter mit Grippeimpfung. Dies entspricht einer Risikoreduktion um 39 Prozent, schreiben die Forscher. Eine Kausalität kann die Studie aber nicht belegen.

Stärkere Zytokinantwort

In Zellkulturuntersuchungen wollte das Team die zugrundeliegenden Mechanismen aufklären. Hierfür isolierten die Forscher Immunzellen (mononukleäre Zellen des peripheren Blutes, PBMC) und brachten sie mit einem tetravalenten Influenzaimpfstoff in Kontakt. Wurden die so »trainierten« Immunzellen mit dem Coronavirus versetzt, reagierten sie mit einer stärkeren Zytokinantwort als untrainierte Zellen. Sie setzten mehr IL-1RA, IL-6 und Interferon-γ frei. Diese Ergebnisse zeigten, dass der Grippeimpfstoff eine trainierte Immunität erzeuge, schreiben die Forscher. Diese ließ sich durch die Kombination von BCG und der Influenzaimpfung in den Experimenten noch steigern.

Den Forschern zufolge hätte eine Grippeimpfung in diesem Winter nicht nur einen Schutzeffekt vor Influenza, sondern in Teilen auch vor Covid-19. Diese These muss aber noch in weiteren Untersuchungen bestätigt werden. Eine Analyse aus Italien hatte ebenfalls eine negative Korrelation zwischen der Grippe-Durchimpfungsrate in der Altersgruppe über 65 Jahre und der Covid-19-Sterblichkeit in verschiedenen Regionen Italiens ergeben.

Ein weiteres Argument für die Grippeimpfung ist in diesem Jahr allerdings gar nicht nötig, denn die Nachfrage ist ungewöhnlich hoch, was bereits zu Engpässen führt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte jedoch wiederholt betont, dass die auf 26 Millionen Dosen aufgestockte Impfstoffmenge für alle, denen eine Grippeimpfung empfohlen wird, reichen werde.

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