Politik

Was tun gegen die Mutante? Virologe: Ausgangssperren werden kommen

Rodeln fällt - zumindest offiziell - nicht unter die Beschränkungen des derzeitigen Lockdowns: hier in einem Berliner Park.

Rodeln fällt - zumindest offiziell - nicht unter die Beschränkungen des derzeitigen Lockdowns: hier in einem Berliner Park.

(Foto: imago images/Jürgen Held)

"Wir wissen, sie ist da", sagte Bayerns Regierungschef Markus Söder am Mittwoch über B.1.1.7, die hochinfektiöse britische Mutante. Dass sie die Ursprungsform verdrängen wird, ist Biologie und kaum zu verhindern. Trotzdem werden scharfe Maßnahmen nötig, sagt Virologe Martin Stürmer, der an der Universität Frankfurt am Main lehrt und ein eigenes Labor leitet.

ntv.de: Nach allem, was man bisher weiß, ist Mutante B.1.1.7 aus Großbritannien 30 bis 50 Prozent ansteckender als die bisher hier vorherrschende Form. Was ist also jetzt gefährlich, was zuvor noch nicht gefährlich war?

Martin Stürmer: Das mutierte Virus überträgt sich noch leichter und wird daher noch konsequenter unsere Nachlässigkeiten ausnutzen. Da mag es mit der alten Variante noch gerade so gut gehen, dass die Kassiererin vier Stunden ungeschützt hinter ihrer Plexiglasscheibe hockt. Aber mit der neuen Variante geht das dann nicht mehr gut. Wir müssen also die Schutzmaßnahmen noch konsequenter anwenden.

Wenn die Deutschen einfach ihr jetziges Niveau an Vorsicht halten, steht schon fest, dass uns die britische Mutante überrennen wird?

Mit den derzeitigen Maßnahmen haben wir ein konstantes Grundrauschen an Infektionsgeschehen. Jeder Kontakt, den wir zulassen, ist ja ein Risiko. Derzeit leisten wir uns noch ein paar dieser Risiken, die immer mehr oder weniger glimpflich ausgehen. Wenn wir alles im Griff hätten, gäbe es ja gar keine Neuinfektionen. So sehen wir, dass das Infektionsgeschehen auch mit der herkömmlichen Variante nicht unter Kontrolle ist. Wenn da die neue Variante die alte ersetzt, wird das Grundrauschen vom derzeitigen Level nach oben klettern.

Also sollten wir jetzt die Maßnahmen verschärfen?

In den nächsten mindestens 14 Tagen müssten wir weiter konsequent den Weg des Lockdowns gehen wie wir ihn jetzt haben, also weiterhin einen sehr strikten Kurs fahren, bis wir wissen, wie aktiv das mutierte Virus im Untergrund bereits ist. Ich fürchte, dass es schon für viele Ausbrüche sorgt. Wenn wir nicht sehr gut aufpassen, ist es nur eine Frage der Zeit, wann uns das um die Ohren fliegt.

Und dann kommt das Virus in exponentielles Wachstum?

So ist es in den anderen Ländern passiert, auf der Basis von Lockerungen ist das Virus massiv durchgeschlagen. Nun gelingt es nur mit ganz massiven Einschnitten, es wieder einzufangen. Dass es geht, haben die Briten und die Iren bewiesen. Aus ihren Erfahrungen können wir lernen, dass es gefährlich wäre, zu früh zu lockern und den neuen Varianten einen zu starken Nährboden zu geben. Wenn wir lockern ohne Kenntnis der genauen Dynamik, die die neuen Varianten in Deutschland haben, öffnen wir ein Einfallstor für die Mutanten.

Aber wird die Dynamik so anders sein als in Großbritannien?

Wir haben noch nicht genug Sequenzdaten, um jetzt schon einen eindeutigen Trend zu erkennen, dass die Zunahme an gemeldeten Fällen nicht nur daran liegt, dass wir mehr hingucken. Insgesamt liegen die Fallzahlen derzeit deutlich günstiger als noch vor Wochen. Auf dieser Grundlage werden Sie nur schwer argumentieren können, dass wir jetzt eine Verschärfung brauchen. Mit fallenden Infektionszahlen können wir kaum über eine Ausgangssperre diskutieren, das wird nicht funktionieren, das wird niemand verstehen. Wir müssen uns aber wappnen, dass es möglicherweise bald mit den Fallzahlen wieder nach oben geht.

Und dann müsste die Ausgangssperre kommen?

Man muss akzeptieren, dass es zu einem bestimmten Zeitpunkt, an dem wir uns derzeit noch nicht befinden, notwendig sein wird, die Maßnahmen noch mal deutlich zu verschärfen. Das beinhaltet natürlich auch umfassende Ausgangssperren. Die Konsequenz sollten wir uns vor Augen führen.

Ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern plädiert dafür, die Inzidenz tatsächlich auf nahezu null zu bringen.

Das Problem ist, dass wir das Virus wahrscheinlich nie ganz loswerden können, aber unser Ziel muss sein, die Zahl der Neuinfektionen auf ein so niedriges Level zu drücken, wie es nur geht. Denn wir wissen nicht, was das Virus auf Dauer mit uns anrichtet. Der Fokus auf die 50 ist darum keine gute Strategie. Wenn wir die Inzidenz wieder auf dem Level vom Sommer halten könnten, dann hätten wir wenige Infektionen, aber könnten uns gleichzeitig relativ viel erlauben. Die Frage ist, ob wir da hinkommen.

Im Winter eine noch größere Herausforderung.

Das Ziel ist sehr ehrgeizig. Ich sehe die Strategie nur dann wirklich umsetzbar, wenn wir sehr massiv noch mal auf die Bremse steigen würden. Das würde wirklich in Richtung kompletter Kontaktverbote und Ausgangssperren gehen. Und ich fürchte, wenn wir so hart bremsen, dann müssen wir von der Bremse auch bald wieder runter. Wenn wir dann runtergehen, zerhaut uns die Mutante den Erfolg ein paar Wochen später. Es kann sein, dass wir diese scharfen Mittel noch brauchen werden, wenn es richtig hart auf hart kommt. Wir sollten sie nicht vorher schon verbrennen.

Mit Martin Stürmer sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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