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Correctiv-Recherche: Geheimtreffen mit AfD nur erfunden? Die irre Rechts-Propaganda und die Wahrheit
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Wer war beim Geheimtreffen in Potsdam dabei?
dpa/Imago/FOL Wer war beim Geheimtreffen in Potsdam dabei?

Die Recherchen von Correctiv zu einem Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam sorgen weiter für Aufsehen. Rechte Kreise versuchen nun, die Ereignisse umzudeuten. Doch die Argumente wackeln.

Die investigative Recherche von Correctiv zu einem Geheimtreffen in einem Landhaus zieht weiter ihre Kreise. Vor allem in rechten Kreisen wird nun versucht, die Ereignisse im Potsdamer Landhaus Adlon, bei denen unter anderem AfD-Politiker, bekannte Neonazis und finanzkräftige Unternehmer über eine Massenabschiebung von Millionen Menschen aus Deutschland sinnierten, umzudeuten.

Die Angriffe der Rechten an der journalistischen Arbeit von Correctiv entpuppen sich oft als heiße Luft und Wortklauberei. Dabei gehe die rechte Szene „wie immer“ vor, sagt der Rechtsextremismusforscher David Begrich gegenüber FOCUS online. Nämlich „mit der Strategie der Selbstverharmlosung“. Ziel sei es, die eigenen politischen Inhalte zu enttabuisieren und zu normalisieren.

Es gehe der Szene dabei um zwei Aspekte: „Sie wollen den Kern der eigenen Anhängerschaft binden und stärken sowie Angriffe des politischen Gegners abwehren und Verantwortung leugnen“, so Begrich. So gehe der Versuch, die Recherchen von Correctiv mit den Methoden der Stasi gleichzusetzen, „wirklich zu weit“. Dies sei aber durchaus das Kalkül rechtsextremer politischer Akteure, so der Experte.

Klar scheint, was die rechten Kreise versuchen: Sie wollen die Bedeutung des Treffens herunterspielen, die Vorkommnisse in ein falsches oder diffuses Licht rücken und vor allem den politischen Schaden für die AfD reduzieren. Dafür werden unter anderem folgende Argumente ins Feld geführt:

1) Das Geheimtreffen war gar nicht geheim

So soll das von Correctiv beobachtete Treffen nicht wirklich geheim gewesen sein. Verschickte Einladungen würden gegen ein geheimes Treffen sprechen, heißt es immer wieder.

Unstrittig ist jedoch, und darauf weisen Rechte teilweise selbst hin, dass in der ersten persönlichen Einladung an die Teilnehmer von einem „privaten Treffen“ eines „exklusiven Netzwerks“ die Rede ist, das einen „konstruktiv-vertraulichen Gedankenaustausch“ ermöglichen soll: „privat“, „exklusiv“, „vertraulich“.

Auch Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels sagt gegenüber FOCUS online: „Unsere Quellen zu der Veranstaltung sind da eindeutig. Gleich zu Beginn der Veranstaltung hat Gernot Mörig auf die Geheimhaltung dieses Treffens hingewiesen, auch im Einladungsschreiben wurde auf die Vertraulichkeit der Runde hingewiesen. Es sollte über Sellners Masterplan gesprochen werden und dafür Finanzen gesucht werden.“

Von einer öffentlichen, inklusiven und für alle Ohren bestimmten Veranstaltung kann hier wohl kaum die Rede sein. Es wird deutlich, dass nur ein bestimmter Kreis von diesem Treffen erfahren sollte. Auch ist nicht bekannt, dass Politiker von SPD, Grünen, der FDP oder Linken ebenfalls zu dem Treffen eingeladen waren.

2) Die anwesenden Politiker waren nicht bedeutend genug

Auch die Anwesenheit „hochrangiger“ Politiker wird bestritten. Es wird angezweifelt, dass die Anwesenden bundesweit bekannt und einflussreich genug seien, um erwähnenswert zu sein. Der Bekanntheitsgrad, sofern man ihn als Gradmesser für die Relevanz einer politisch aktiven Person heranziehen will, ist in der Tat nicht bei allen der damals in Potsdam Anwesenden besonders hoch.

Aus den Reihen der AfD war etwa Roland Hartwig dabei. Zwar war er bis zu dem Treffen wohl nur Polit-Insidern bekannt. Aber klar ist, dass er bis vor wenigen Tagen der persönliche Referent von Alice Weidel war. Dass Hartwig laut Correctiv-Recherche sehr wohl Einfluss auf den AfD-Bundesvorstand hat, und das auch bei dem Treffen nach außen trug, bleibt außen vor und wird von den rechten Spindoktoren nicht thematisiert.

Ebenso „unbekannt“ und „ohne Einfluss“ sei demnach Gerrit Huy, Bundestagsabgeordnete der AfD. Dass Huy den AfD-Bundesfachausschuss Arbeit und Soziales leitet und an der Erstellung des AfD-Sozialkonzeptes beteiligt war, wird geflissentlich ignoriert.

Auch Ulrich Siegmund wird als „unbekannt“ und „ohne Einfluss“ abgetan. Dabei ist er Fraktionsvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, dem Bundesland, in dem die AfD in den Umfragen so gut abschneidet wie nirgendwo anders.

3) Der Geheimplan ist nicht geheim

Außerdem, so argumentieren rechte Gruppen, seien die Thesen und Ideen des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner, der vor Ort einen Vortrag hielt, bereits bekannt gewesen. Gemeint sind die Pläne zur „Remigration“, wie es die Neu-Rechten nennen, um das, was damit eigentlich gemeint ist, nämlich die Deportation von Menschen aus Deutschland, zu verschleiern.

Das Argument ist aber konstruiert und vor die Debatte geschoben, um vom eigentlichen Problem abzulenken, nämlich dem Treffen selbst, den beteiligten Akteuren und dem eigentlichen Inhalt der Deportationsthese.

Denn klar ist auch: Dass eine menschenverachtende These, die illegale Praktiken beinhaltet, bereits bekannt ist, macht sie nicht weniger menschenverachtend. Egal, ob sie geheim war oder nicht.

Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels argumentiert gegenüber FOCUS online so: „Die rassistische Forderung nach einem monoethnischen Staat durch „Remigration“ also Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, darunter auch Staatsbürgern ist seit langem das zentrale Thema von Martin Sellner und vielen Rechtsextremen. Das ist Gegenstand von Sellners Buch.

Neu ist, dass bei diesem Treffen ausdrücklich die Vertreibungspläne als „Jahrzehnteprojekt" beschrieben wurden, und hochrangige AfD-Leute darunter auch Roland Hartwig, rechte Hand von Alice Weidel, dabei waren, diesen Masterplan zustimmend diskutierten und an der Umsetzung mitwirken wollten. Vorher suchten schon viele AfD-Politiker die Nähe zu Sellner, darunter der AfD-Spitzenkandidat Maximillian Krah, der die Vertreibung von Millionen Menschen in seinem Buch diskutiert. Auch Höcke schreibt von „wohltemperierter Grausamkeit". Über Hartwig sollte der AfD-Bundesvorstand offenbar Sellners Thesen entgegen der Beschlusslage der AfD übernehmen. Das ist die Brisanz der Geschichte."

4) Das Scholz-will-das-doch-auch-Argument

In rechten Kreisen wird seit der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche auch gerne ein berühmt gewordener Kanzlerersatz verwendet. In einem Interview mit dem „Spiegel“ hatte Olaf Scholz (SPD) gesagt: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Dies wird in sozialen Netzwerken inzwischen regelmäßig mit der „Remigration“ gleichgesetzt. Dabei werden bewusst verschiedene Forderungen vermischt.

Während Scholz die legale und auch von vielen demokratischen Politikern geforderte verstärkte Abschiebung ausreisepflichtiger Migranten meint (und dies auch so erklärt), schließt Sellners These auch die illegale Abschiebung von Menschen mit Aufenthaltserlaubnis ein. Und sogar die (ebenfalls illegale) Abschiebung „nicht assimilierter“ Eingebürgerter.

5) Das Treffen wurde heimlich überwacht

Zudem wird kritisiert, dass Correctiv die Veranstaltung mit verdeckten Methoden überwacht habe, was Zweifel an der Authentizität der Berichterstattung aufkommen lasse, und die Rechte der Teilnehmer verletzt habe. Die Recherche sei zudem selektiv und irreführend, so die Darstellung.

Dass die Investigativ-Journalisten den Ort des Geschehens mit versteckten Kameras ausstatteten, ein Fotograf mit Teleobjektiv von einem gemieteten Floß auf dem angrenzenden See Aufnahmen der Teilnehmer machte und ein Hotelgast eingeschleust wurde, stellt jedoch keineswegs eine Überschreitung der rechtlichen oder berufsethischen Grenzen der Recherche dar.

Im Gegenteil: Für die berufsethische Beurteilung ist der Pressekodex heranzuziehen. Dort heißt es: „Verdeckte Recherche ist im Einzelfall gerechtfertigt, wenn damit Informationen von besonderem öffentlichem Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind.“

Auch presserechtlich kommt es laut Presserechtsexperten auf eine Abwägung an, sofern durch die Recherche überhaupt (Persönlichkeits-)Rechte Dritter berührt sind. So beeinträchtigt beispielsweise die Installation versteckter Kameras noch niemand persönlich, dies wäre frühestens bei der Anfertigung (und vor allem Veröffentlichung) von Bildnissen der Fall. Aber auch die Dokumentation eines solchen Treffens wie in Potsdam bzw. der Teilnehmer durch solche Bildaufnahmen scheint angesichts des überwiegenden Informationsinteresses hier eindeutig zulässig.

Einzige Ausnahme: Das heimliche Mitschneiden des nicht-öffentlich gesprochenen Wortes wäre strafbar. Der Vorwurf, Correctiv habe dies getan, wurde von den Journalisten bereits verneint.

Zudem ist die Fokussierung auf den Vortrag Sellners im Rahmen der Correctiv-Berichterstattung gerade darauf zurückzuführen, dass hier ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Die Relevanz dieses Arguments erschließt sich daher nicht. Der Hauptaspekt, nämlich, dass über eine Massendeportation diskutiert wurde und hier ein „Impulsvortrag“ gehalten wurde und vor allem wer zuhörte und wer wie darauf reagierte, ist hier von überragender Bedeutung.

6) Das Finanzierungs-Argument

Darüber hinaus wird die staatliche Finanzierung von Correctiv als möglicher Faktor genannt, der Zweifel an der Unabhängigkeit des Recherchekollektivs aufkommen lasse. Die implizite Annahme dabei: Aufgrund der finanziellen Unterstützung durch staatliche Stellen kann die Berichterstattung eines Medienunternehmens nicht neutral sein.

Doch das Argument hinkt. Correctiv wird zwar nach eigenen Angaben auch teilweise von der Regierung finanziert, aber nicht ausschließlich, wie suggeriert wird. Die stellvertretende Chefredakteurin Anette Dowideit schafft Transparenz und teilt über X (ehemals Twitter) ein FAQ, das Einblicke in die Finanzierung und Förderer gibt.

Und Correctiv-Chefredakteur Justus von Daniels stellt auf Anfrage von FOCUS online klar: „Correctiv zeigt in seinem Transparenzbericht die Mittel, die wir zur Verfügung haben. Die Förderung durch staatliche Finanzierung fließen ausschließlich in Medienbildungsprojekte, nicht in Recherchen. Einzelspenden machen einen erheblichen Anteil unserer Finanzierung aus. Wir recherchieren immer unabhängig.“

Gegen eine staatliche Einflussnahme sprechen offenkundig auch andere Recherchen des Kollektivs, etwa ein Bericht über eine geheime 10.000-Euro-Spende an die SPD oder eine große Befragung aller Bundestagsabgeordneten zu Geldspenden. Das zeigt, dass sich Correctiv durchaus auch kritisch mit Regierungsparteien und Abgeordneten anderer Parteien auseinandersetzt.

tsa
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