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Thomas Fischer

Die Drogen und der Rechtsstaat Größter Kokainfund aller Zeiten – ja, und?

Thomas Fischer
Eine Kolumne von Thomas Fischer
In Hamburg ist eine große Menge eingeschmuggeltes Kokain sichergestellt worden. Einmal mehr ist vom »Schlag gegen die Kriminalität« die Rede. Wir fragen: Was bringt's?
Zollbeamte in Hamburg präsentieren beschlagnahmtes Kokain, 24. Februar 2021

Zollbeamte in Hamburg präsentieren beschlagnahmtes Kokain, 24. Februar 2021

Foto:

Bodo Marks / dpa

Bilder

Es ist immer wieder ein schönes Bild, wenn auf einem Foto eine Palette mit 500 Kilogramm Weizenmehl Typ 405 (in Kreuzberg natürlich: Dinkel-Vollkorn) in Ein-Kilo-Paketen zu sehen ist, rechts und links daneben zwei Herren und zwei Damen von einer Super-Eliteeinheit mit extraschwarzer Sturmhaube und in der Bildmitte schräg vor der Palette ein Innenminister und ein Polizeipräsident, sich gegenseitig Mehlpakete überreichend. Sehr ernstes Gesicht. Überschrift: »Größter Fund aller Zeiten«. Wahlweise: »des Jahres«, »seit Beginn der Wetteraufzeichnungen«, »in Jena-Lobeda«.

Sodann folgt ein Text, in welchem unbedingt folgende Worte vorkommen müssen: »Immer mehr«, »hochprofessionell«, »Mafia«, »Verkaufspreis«. Er handelt davon, dass hochprofessionell handelnde Drogenbarone aus Südamerika immer mehr Weizenmehl nach Deutschland schmuggeln, wo es einen Straßenverkaufspreis von soundsoviel Fantastillionen hätte haben können, falls nicht die Damen und Herren auf dem Foto einmal mehr zugeschlagen hätten, was sie sehr glücklich macht, aber auch »realistisch«, da sie beruflich gegen die Spitzen eines Eisbergs kämpfen, der unter ihrer aufopfernden Betreuung immer weiter wächst, was den oder die Drogenbeauftragten der Stadt Jena, des Bundeslands Sachsen-Anhalt und der Bundesrepublik dazu veranlasst, einmal klar zu sagen, dass sie davor warnen, allzu viel leere Kalorien zu essen und überhaupt nicht so viel. Kleiner Scherz! Der erfahrene Leser weiß, dass hier vom Kokain die Rede ist, wahlweise vom Amphetamin; es darf aber auch Fentanyl oder eine Teufelschemikalie namens THC sein.

Drogen! Damit ist natürlich nicht Ibuprofen gemeint oder ein Kombipräparat mit ein bisschen Amphetaminderivat, das die Nasenschleimhäute der dauererkälteten 20 Millionen Kopfwehkranken in Deutschland abschwellen lässt, ihren Blutdruck und inneren Antrieb ein bisschen in die Höhe bringt und deshalb bei der Apothekerin des Vertrauens containerweise in Griffweite hinter der Ladentheke steht.

Seit 60 Jahren »versinkt« Deutschland wieder im Drogenrausch, nachdem zwischen 1945 und 1960 eine kleine Pause eingelegt wurde, weil die Crystal-Meth-Industrie (U-Boot-Schokolade) erst wieder aufgebaut werden musste. Seither geht es rund und bunt und immer mehr, immer mehr. So richtig geschadet hat es Deutschland als solchem ja nicht, muss man sagen, wenn man ein paar Hunderttausend Verlorene einmal unberücksichtigt lässt, aber die schaffen die drei führenden Brauereien und der Kaiserstuhler Durchschnittsausstoß locker auch, ohne dass sich jemand wirklich aufregt. Früher drückten sich die Herren Doktores med. morgens und abends ein bisschen Morphium in die Vene, um das Müdigkeitsleid ihrer anämischen Patientinnen ertragen zu können, und die durchgeknallte Nazi-Elite oder was sich dafür hielt dröhnte sich mit Engelsstaub durch die Nacht des Völkermords. Heute heißt das Spiel natürlich anders! Die Regeln sind aber gleich geblieben, die Rollen weitgehend auch.

Krieg

Der »War on Drugs« wurde einst von Herrn Präsidenten Richard Nixon aus Amerika erklärt, der ein Freund des Single Malt war. Er erklärte den Krieg niemand Bestimmtem, sondern einfach mal nur so: der Welt. Seither befinden wir uns im Krieg, was man auch hierzulande schon an den eingangs genannten Sturmhaubenträgern sehen kann. Warum diese herumlaufen, als seien sie Komparsen aus einem Bruce-Willis-C-Movie, weiß man nicht. Beim Fototermin kann ja meist nicht mehr so viel passieren. Es sieht aber jedenfalls sehr gefährlich aus, und vielleicht fürchten sich die Drogenbarone in Bolivien.

Dieser Krieg gegen die Drogen hat uns Verschiedenstes gebracht: Schöne Fotos sowieso, wobei die besten ja die sind, auf denen schwerst bewaffnete »Elitesoldaten« unter den Augen ihres jeweiligen Herrschers in einer noch viel schwerer bewaffneten Polizeikaserne irgendwo in Usbekistan, Nigeria, Afghanistan oder Costa Rica angeblich gigantische Mengen von beschlagnahmten Drogen verbrennen und sich dabei das Lachen verkneifen.

Außerdem eine nicht endende Kette von Rekorden: Siehe oben. Gerade wieder: Größter Fund aller Zeiten in Deutschland! 16 Tonnen Kokain, wie immer »hochprofessionell« verpackt in Dosen und so weiter. Nur mal am Rande: Wenn das »hochprofessionell« sein soll, wie verschiffen es dann die Mittelprofessionellen und die Nebenerwerbslandwirte? Und wäre es nicht äußerst überraschend, wenn Menschen, die 16 Tonnen Kokain nach Europa verschiffen, das nicht professionell machen würden?

Gern als Rekord verzeichnet: der Wert. Geld, Geld, Geld regiert! »Straßenverkaufspreis von Milliarden«, meldet die Polizei. Eine merkwürdige Wichtigtuerei. 16 Tonnen werden nicht grammweise verkauft, sondern da liegen Dutzende von Handelsstufen dazwischen, auf denen jeweils Handelsprofit abgegriffen wird. Das ist wie beim Öl oder beim Lithium oder beim Diamanthandel, und auch 16 Tonnen Rispentomaten bringen dem Bauern nicht 16.000-mal den Kilopreis von 4,99 Euro.

Da man im Krieg in der Regel einen Feind braucht, selbst wenn er unsichtbar bleibt, hat uns der »War on Drugs« jede Menge Feinde gebracht. Die Kette reicht von den Grammverkäufern im Görlitzer Park bis auf die Golfplätze der Palast-Haciendas am Pazifik und am Kaspischen Meer. Wie jeder ordentliche Krieg hat auch dieser eine unendliche Menge an Gewalt gebracht. Sie ist unterschiedlich verteilt. Die selbstvernichtende Gewalt von Konsumenten soll hier einmal ausgeklammert werden; sie ist normales Lebensrisiko, das jeder Rieslingsäufer ebenfalls kennt und irgendwie sozialverträglich geregelt werden muss und wird. Wie man sieht, kommen die russischen Männer dauerhaft auch mit ein paar weniger Jahren funktionierender Leber über die Runden, und die US-amerikanische Mittelklasse wird es schon irgendwie schaffen, die paar Millionen zusätzlicher Opiatabhängiger privat krankenzuversichern. Aufs Ganze gesehen, also unter Einbeziehung der Gewinne aus der Opiatherstellung und -Distribution sowie aus der hippokratischen Pflichterfüllung der hochprofessionellen ärztlichen Schmerzensminderer, rechnet sich das vermutlich volkswirtschaftlich immer noch. Sonst würde man es ja nicht machen!

Es ist sowieso ein laienhafter Fehler, diese Dinge immer nicht in der notwendigen Abstraktion und ökonomischen Dimension zu sehen. An Drogen gehen Kulturen nur kaputt, wenn sie von außen kommen und mit dem gehörigen Gleichgültigkeits- und Vernichtungswillen eingesetzt werden: Siehe Feuerwasser! Die Indigenen mümmeln, kauen, schlucken und spritzen ansonsten seit 20.000 Jahren irgendwelches Zeug zwecks Erleuchtung, Traum, Heilung oder Spaß. Auch die Elefanten in der Serengeti, die sich mit vergorenen Früchten volldröhnen, sterben nicht deswegen aus.

Terms of Trade

Die andere, fremde und beängstigende Gewalt ist die des Handels. Sie kommt allerdings nicht aus dem Hanf, dem Mohn oder der Koka, sondern aus den Terms of Trade. Der Handel mit Kupfer, Uran, Tee oder Kakao ist ungefähr genauso gewalttätig. Nur hat dort die Gewalt ein wenig länger Zeit gehabt, sich in Außenwirtschaftskammern, Generalkonsulaten und völkerrechtliche Verträgen einzugewöhnen. Wir hören derzeit von ihr nur eher selten, etwa wenn »im südlichen Mittelmeer« zwei gute Freunde Deutschlands, Griechenland und die Türkei, freundlich über Erdgas miteinander sprechen; oder wenn der eine oder andere Außenminister einmal dahermurmelt, was vielleicht leider notwendig werden könnte, wenn die Straße von Hormus gesperrt werden würde von den bösen Feinden der lieben Freunde.

Ich will damit nicht sagen, dass das Mordgeschäft der Kokainbanden in Mexiko nicht schlimmer oder anders oder brutaler sei als der Ostseehandel mit russischem Gas. Das würde sich aber natürlich sofort ändern, wenn es in Miami eine Rohstoffbörse für Kokain gäbe und die Koka-Aktien so gehandelt würden wie die Bieraktien, das Heroin so wie das Tramadol. Dann wär's vorbei mit der Romantik, die ganzkörpertätowierten Kalaschnikow-Träger müssten sich was Neues suchen, und die Kokain-Container im Hamburger Hafen kriegten eine Extra-Security vom Innensenator spendiert.

Das klingt natürlich ganz schrecklich unkorrekt und wo kämen wir denn da hin? Antwort: Dahin, wo wir schon sind, nur etwas anders, etwas ruhiger, etwas weniger gewalttätig und deutlich preisgünstiger. Selbst in Ländern, wo der Alkoholismus sehr verbreitet ist, ist nur ein kleiner Teil der Bevölkerung unmittelbar schwer betroffen. Und ich bin sicher: Sobald man annähernd freien Zugang zu Kokain oder Opiaten hätte, würde nicht die Mehrzahl der Menschen in Deutschland ins Elend stürzen. Die Anzahl der Elendsgestalten auf Drogen jeder Art in den Städten ist hoch, aber nicht unermesslich.

Jeder Krieg hat seine sekundären Kosten: ökonomischer, emotionaler, menschlicher, moralischer Art. Der »War on Drugs« hat, wie wir jede Woche und nach jedem neuen »Rekord« wieder lesen und hören dürfen, mitnichten zu irgendeinem strategischen Erfolg geführt. Die Drugs, der Feind, sind ungefähr so vernichtet wie die Taliban in Afghanistan. Selbst zu halbwegs präsentablen taktischen Siegen reicht es nicht: Jedes Mal, wenn irgendwo ein Innenminister eine Tonne beschlagnahmte Drogen präsentiert, sagt er dazu, dies sei mal wieder die Spitze eines ständig wachsenden Eisbergs und allenfalls ein Schatten der Wirklichkeit. Wenn das so ist – woran niemand zweifelt: Wovor haben wir dann eigentlich so schreckliche Angst? Wenn über 90 Prozent all der vernichtenden Drogen, die produziert werden, ungehindert zum Konsumenten gelangen: Warum dann die Panik davor, dass es hundert Prozent werden könnten?

Kriegsrecht

Ein vielfach unbeachteter, meist verlogener und verschleierter Kollateralschaden des Kriegs findet übrigens im Recht, speziell im Strafrecht statt. Das »Betäubungsmittelstrafrecht« ist ein Ort des normativen Wahns und der polizeilich-organisatorischen Raserei. In den Gefängnissen sitzen Zehntausende von Kriminellen, die dies allein deshalb sind, weil der Anbau von Cannabis mit hoher Strafe bedroht ist, der Anbau von Hopfen oder Reben aber zum Bundesverdienstkreuz oder zur Heirat mit einer Weinkönigin führt. Klar: Was verboten ist, soll man nicht tun, das ist die gute alte Geßler-Regel. Aber letzten Endes wüsste man halt schon gern, warum man sich an Pseudoephedrin dumm und dämlich verdienen darf und in Deutschlands auflagenstärkster Publikation, der »Apotheken Umschau«, lobend erwähnt wird, für dieselbe Menge MDMA aber zehn Jahre in den Knast geht.

Ein besonders schönes Kollateralgewächs schließlich ist die sogenannte Bekämpfung der sogenannten Geldwäsche. Sie ist ein Thema für mindestens eine gesonderte Kolumne. Aber man muss immer einmal wieder sagen: Was den Bürgern da an Nebel aufgetischt wird, ist schon bemerkenswert. Nur mal ein kleines, aktuelles Beispiel: 17 Tonnen Kokain, »Straßenverkaufswert von Milliarden«, freuen die tapferen Fahnder, zeigen nach deren Aussage aber bloß, dass sie mindestens 150 Tonnen nicht gefunden haben. 150 Tonnen mal 1000 Kilogramm mal 1000 Gramm mal unter Brüdern 40 Euro macht 6 Milliarden. Das ist aber nur der Wert auf der letzten Stufe. Alle Zwischenstufen sind ja ebenfalls illegal und bringen ebenfalls illegalen Gewinn. Das ist nur eine Droge und ein Jahr und nur eine Quelle. Das Ganze läuft – siehe »War on Drugs« – seit Jahrzehnten. Aberhunderte, Tausende von Milliarden Euro: Sind alle noch da, sind längst zehnmal »gewaschen« und legal geworden und in unser aller Leben verschwunden. Die Behauptung, man müsse nur die »Geldwäsche« richtig bekämpfen, dann werde alles gut, ist ebenso plausibel wie die Behauptung, man müsse nur das Böse abschaffen, dann komme das Paradies.

Frage also: Wie oft läuft ein halbwegs vernünftiger Mensch mit dem Kopf gegen eine massive Wand, bevor er aufhört zu sagen, es wäre besser, wenn sie nicht da wäre, und man müsse nur mehr Anlauf nehmen?