Ziemlich rechts im Kampf gegen „rechts“

Wolf Wetzel
Ein Artikel von Wolf Wetzel

Ein Teil der Linken kämpft nicht gegen „Querdenken“, sondern gegen ihr eigenes Selbstverständnis. Wo waren all diese Gruppierungen und Parteien, die nun gegen „rechts“ antreten wollen, als es um den Kampf gegen richtige, so ganz echte Nazis ging? Dass es der aktuellen Bundesregierung nicht um den Kampf gegen „rechts“ geht, sondern um die Durchsetzung einer Corona-Politik, die vor allem rechts, autoritär und repressiv ist, sollte leicht nachvollziehbar sein. Von Wolf Wetzel.

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Für Samstag (15. Januar) hatten Gegner der Corona-Politik der Bundesregierung zu einer Demonstration unter anderem in Hamburg aufgerufen. Die SPD-geführte Stadt hatte via Versammlungsbehörde die Demonstration verboten.

Die Art und Weise, wie das Demonstrationsrecht ausgehebelt wird, ist nicht sonderlich neu: Man macht unerträgliche Auflagen, wie eine Höchstzahl an Teilnehmern, und/oder „erlaubt“ ausschließlich eine Kundgebung an einem abgelegenen Ort. Beides ist den Veranstaltern „angeboten“ worden, was diese dankend abgelehnt haben. An der letzten Demonstration gegen die Corona-Politik hatten in Hamburg über 14.000 Menschen teilgenommen.

Nun kommt etwas besonders hinzu. Gruppierungen, denen man zumindest keine Nähe zu Regierungspolitiken unterstellen kann, hatten für den 15. Januar zu einer Gegendemonstration aufrufen, unter dem Motto:

Solidarität gegen Verschwörungsideologien

Unterstützt wurde der Aufruf von Parteigliederungen von DIE LINKE und den GRÜNEN, von der DKP bis hin zur anarchistischen FAU Hamburg, von Gewerkschaftsgliederungen (Verdi) bis zur „Seebrücke“, von „Omas gegen Rechts“ bis zu „Lesben gegen Rechts – Regionalgruppe Hamburg“. „Den Bündnis Aufruf unterstützen inzwischen über 100 Gruppen und Organisationen sowie zahlreiche Einzelpersonen keine-stimme-den-nazis.org.“

Die „Minderheiten“ werden gegeneinander in Stellung gebracht

Diese Gegen-Demonstration wurde von der Versammlungsbehörde erlaubt. Dass die SPD-geführte Stadtregierung an diesem Demokratieangebot sehr gelegen ist, ist naheliegend. Aber es ist ihr sicherlich noch etwas wichtiger: Die „Minderheiten“ gegeneinander in Stellung zu bringen. Auf der einen Seite stehen die „Querdenker“ (die Kritiker der Corona-Politik werden hier im Folgenden unter dem Begriff „Querdenker“ geführt, wohl wissend, dass dieser Begriff diffamiert wurde und sich nicht alle Kritiker mit ihm identifizieren). Auf der anderen Seite Gruppierungen, die sich im Kampf gegen „rechts“ vereinen und diesen Kampf mit großer medialer und politischer Unterstützung nun gegen die „Querdenker“ richten.

Alleine diese ungewöhnliche Allianz müsste doch aufstoßen, zum Nachdenken anregen. Wenn es um den Kampf gegen Nazis geht, wie zum Beispiel gegen den NSU, gegen das NSU-Netzwerk, dann jubeln weder die SPD noch andere Regierungsparteien diesem Ansinnen zu. Man lässt es im besten Fall leerlaufen. Im Normalfall macht man ihm das Leben schwer. Und ganz massiv wird schließlich die politische und juristische Verfolgung, wenn sich der Antifaschismus tatsächlich gegen organisierte Nazis richtet, wie in Leipzig zum Beispiel. Dann jubelt die Stadtregierung nicht, sie hat nicht einmal Verständnis, sondern fährt das ganze Repressions-Instrumentarium auf, wie die Verhaftung und Verfolgung von Antifaschisten als „Mitglieder in einer kriminellen Vereinigung“, nach § 129 des StGB.

Nicht nur das stößt auf. Wo waren all diese Gruppierungen und Parteien, die nun gegen „rechts“ antreten wollen, als es um den Kampf gegen richtige, so ganz echte Nazis ging? Wo waren sie in den letzten über zehn Jahren? Alle wissen es und sollten doch keiner politischen Amnesie verfallen. Noch nie war der antifaschistische Kampf oder Widerstand so kleinlaut, so schwach, so piepsig wie im Kampf gegen das NSU-Netzwerk und seine staatlichen Beihelfer (in Gestalt von manipulierten Ermittlungsarbeiten, in Form von Geheimdiensttätigkeiten, die vor allem damit beschäftigt waren, die Strafverfolgung von Nazis zu sabotieren und die ins Visier geratenen Nazis zu warnen).

Jetzt also wollen ganz viele antirassistische und antifaschistische Gruppierungen Flagge zeigen, um den Kampf gegen Nazis aufnehmen? Warum fragt niemand, warum die aktuelle rot-grün-gelbe Bundesregierung, warum die aktuelle SPD-Stadtregierung in Hamburg so schlagartig das Ruder herumreißen, im Kampf gegen „Neonazis“?

Regierung geht es nicht um Kampf gegen rechts

Dass es der aktuellen Bundesregierung nicht um den Kampf gegen „rechts“ geht, sondern um die Durchsetzung einer Corona-Politik, die vor allem rechts, autoritär und repressiv ist, sollte leicht nachvollziehbar sein.

Aber was ist mit all denen, die den Kampf gegen Neonazis, gegen „rechts“ als Widerstand gegen „Querdenker“ entdecken? Vorausschicken muss man, wie selbst die Polizei die große Mehrheit der Kritiker der Corona-Politik in Hamburg einschätzt:

Zwar sehen die Hamburger Behörden anders als in anderen Bundesländern keine Steuerung durch Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten bei den Protesten. Der Innensenator blickt dennoch mit Sorge auf das Geschehen. ‚Es besteht die Gefahr, dass sich der Protest selbst radikalisiert‘, sagte Grote der Deutschen Presse-Agentur. ‚Das Opfer-Narrativ ist sehr ausgeprägt. Und je näher beispielsweise eine Impfpflicht rückt, desto unversöhnlicher wird der Ton und desto größer wird die Gefahr einer Radikalisierung‘.“ (ndr. de vom 24.12.2021)

Wer die Neonazis kennt, in Hamburg und anderswo, der kann eines ganz sicher sagen: Die Mehrheit der Teilnehmer sind keine Nazis und in der Tat „steuern“ keine Neonazis die Demonstrationen von über 10.000 Menschen. Wer noch halbwegs bei Trost ist, muss sich nur die Teilnehmerinnen und Teilnehmer anschauen, um dies ganz sicher nicht mit einem Aufmarsch von Nazis zu vergleichen. Und wer sich tatsächlich mit neonazistischen Strukturen und ideologischen Think Tanks auskennt, der weiß, dass diese ganz und gar nicht mit dem Verlauf der „Querdenker“-Demonstrationen zufrieden sind.

Was hält dieses „Bündnis gegen Rechts“ in Hamburg den „Querdenkern“ vor? Erst einmal all die Schlagworte, die man seit der Corona-Krise wie Luftballons aufsteigen lässt: Das Bündnis wolle „gegen Verschwörungsideolog*innen, Coronaleugner*innen, Reichsbürger*innen, Antisemit*innen und andere Schwurbler*innen“ demonstrieren.

Anpassung an offizielle Phrasen

Der Unterschied zum Regierungstalk ist gleich Null! Begriffloser können Vorwürfe kaum noch gemacht werden.

Was ist eine Verschwörungsideologie? Wenn man sagt, dass es bei der Pandemiebekämpfung nicht um unsere Gesundheit geht? Gehört zu einer Verschwörungstheorie, dass man mächtige Kapitalinteressen hinter dieser Art von Pandemiebekämpfung sieht?

Gehört es zu einer Verschwörungstheorie, wenn man die wissenschaftliche Daten- und Studienlage infrage stellt, weil über 80 Prozent der Studien von den Pharmakonzernen selbst in Auftrag gegeben werden und diejenigen Studien, die ungünstig ausfallen, einfach im Papierkorb landen?

Ist das ein Zeichen von einer Verschwörungstheorie, wenn man das Weltwirtschaftsforum (WEF), seinen Chef ernst nimmt, der vom großen Reset (Great Reset) träumt und die Pandemie als Chance sieht und propagiert?

Und wie abgedroschen ist der Vorwurf, Gegner der Corona-Maßnahmen seien „Coronaleugner“. Geht es wirklich noch dümmer? In der Mehrheit wird bei „Querdenkern“ und drumherum nicht die Wirklichkeit eines tödlichen Virus bestritten, sondern Corona-Maßnahmen kritisiert, die mit der Bekämpfung nichts zu tun haben! All das ist kein besonderes „Querdenker“-Phänomen, sondern Teil der wissenschaftlichen Debatte. Manchmal sagen sogar die Experten, dass sie nur auf Sicht fahren. Manche wissen sogar, dass es zu den Grundkenntnissen einer tödlichen Krankheit gehört, dass man wenig bis viel zu wenig weiß. Wenn man das ganz Banale zum Ausgangspunkt macht, dann sind gegensätzliche Annahmen und Schlussfolgerungen nicht irre, sondern ein Grundwerkzeug der Aufklärung. Dazu gehört eben auch, dass die Impfstrategie nicht alternativlos ist und schon gar nicht unschlagbar, wenn man mittlerweile weiß, dass der neuartige Impfstoff gar nicht in angemessener Weise das macht, wozu er mit allen Schikanen gespritzt und geboostert werden soll.

Und dann der Baseballschläger der Stunde, den sich Regierung und “Bündnis gegen rechts“ teilen: „Antisemit*innen!“. Wissen die Bündnisteilnehmer nicht, wie schamlos dieser Begriff, dieser Vorwurf missbraucht wird? Als ganz zentrales Beweisstück wird der Vorwurf angeführt, „die“ Querdenker würden Bill Gates und eine kleine nichtgewählte Elite für diese Art der Pandemiebekämpfung verantwortlich machen. Reicht das ernsthaft, um jemand zum Antisemiten zu machen? Warum führt man nicht eine Diskussion, eine öffentliche, über diese Frage, wer in Deutschland, im wertebestimmten Westen das Sagen hat? Ist Horst Seehofer nach dieser Leseart auch ein Antisemit, als er sehr erfahren sagte:

Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“ (Pelzig unterhält sich, 20. Mai 2010)

Diese profunde Feststellung sehr präzise auf heute anzuwenden, ist nicht einfach. Aber was steuert die Linke dazu bei, die den „Querdenkern“ Antisemitismus vorwirft? Wie geht sie mit Horst Seehofers Aussage um? Wie erklärt sie sich die massiven Repressionen und Einschränkungen von Grundrechten (nicht erst seit Corona) im staatstheoretischen Sinne? Hat sie noch etwas von Marx auf der Pfanne? Weiß sie noch, was mit dem Staat als „ideellem Gesamtkapitalisten“ gemeint ist?

Und damit wären wir beim allerletzten Vorwurf, der tatsächlich eine Corona-Geburt ist: „Schwurbler*innen!“. Muss man so unterirdisch und dämlich auftreten? Muss man den Bumerang so grandios gegen sich selbst richten? Mit „Schwurbler*innen sind Menschen gemeint, die nur Halbwissen haben, die nur so daherreden, von nichts bis wenig Bescheid wissen. Gilt das nicht mindestens genauso für jene Linke, die nun im Namen der guten und faktenbasierten Wissenschaftlichkeit auftreten? Haben genau diese Linke noch nichts von der Wissenschaftskritik gehört, die unter anderem die Kritische Theorie (Adorno/Habermas) zum guten Teil formuliert hat? Haben all diese Besserwisser sich damit auseinandergesetzt? Was bedeutet es, wenn man diese Wissenschaftskritik auf heute anwendet?

Widersprüche aushalten

Es gäbe also genug, um sich selbst schlau zu machen, um Widersprüche zu benennen, sie auszuhalten. Dies gilt für die Linke, die in Hamburg gegen die „Querdenker“-Demonstration aufruft. Aber auch die Querdenkenden sollten sich einige Fragen stellen. Dazu gehört sicherlich auch die berechtigte Frage, was Reichsbürger, AfD-Funktionäre und Identitäre auf einigen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zu suchen haben. Fallen sie (den meisten) nicht auf oder weiß man gar nicht, was einen von diesen trennt oder doch eint? Dabei geht es nicht nur darum, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es geht vor allem darum, selbst genauer darin zu werden, wohin die Kritik an der Corona-Politik führen soll.

Die Linke täte gut daran, in der notwendigen Debatte um die Corona-Politik zu überzeugen, anstatt als „Politkommissare“ aufzutreten.

Quellen und Hinweise: