„Politische Vernichtung“: Wolffsohn verteidigt Aiwanger!

Gastkommentar

Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn kritisiert in einem Gastkommentar in BILD die Attacken auf Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger

Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn kritisiert in einem Gastkommentar in BILD die Attacken auf Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger

Foto: picture alliance/dpa
Von: Michael Wolffsohn*

„Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Auch wenn es der Denunziant gut meint. Jüngsten Anschauungsunterricht bietet uns der Fall des bayerischen Vize-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger. Bislang fiel er nie durch irgendwelche antisemitischen Äußerungen auf. Den Unmut seiner Gegner zog er sich mit anderen Aussagen zu.

Ein Recherchen-Team der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlichte: Aiwanger hätte als 17-jähriger Schüler vor rund 35 Jahren ein ekelerregendes, antisemitisches Flugblatt verfasst.

Wer das Flugblatt liest, erkennt sofort: Ja, es ist ekelhaft und widerwärtig. Warum? Weil es tändelnd über die Hölle auf Erden witzelt, nämlich über das nationalsozialistisch-deutsche Vernichtungslager Auschwitz. Dort wurden rund 1,3 Millionen Menschen ermordet, davon 1,1 Millionen Juden. Darüber machen anständige Menschen keine Witze.

Ist jenes Flugblatt antisemitisch? Es ist menschenverachtend, aber ist es deswegen automatisch antisemitisch? Antisemiten machen Juden als Juden verächtlich. Sie fordern die Benachteiligung und sogar Ermordung. Kein Wort davon in diesem dreckigen Text. Merke: Nicht jeder Dreck ist zugleich antisemitisch.

Zeugen von damals haben Hubert Aiwanger beschuldigt. Sie alle bestehen auf Anonymität. Seltsam: Für eine gute Sache – also den Kampf gegen Antisemiten – nicht mit offenem Visier kämpfen?

Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (52, Freie Wähler)

Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (52, Freie Wähler)

Foto: NIELS STARNICK / BILD

Inzwischen ist mehr bekannt: Nicht Hubert Aiwanger hat das Flugblatt verfasst, sondern sein Bruder. Wenn es stimmt, dann nutzen die heutigen Nazi-Gegner Methoden, die sonst nur in Diktaturen üblich sind, nämlich: Sippenhaft.

Daraus folgt: Wir haben es bei den Zeugen nicht mit antifaschistischen Helden, sondern eher mit Denunzianten zu tun.

„Hysterische Aiwanger-Kritiker messen mit zweierlei Maß“

Als Jude wehre ich mich dagegen, dass Denunzianten uns Juden für ihre tagespolitischen Zwecke missbrauchen. Kurz vor den Wahlen in Bayern wollen sie den konservativen Aiwanger und seine Freien Wähler als Nazis und, daraus abgeleitet, Antisemiten abstempeln. Wer konservativ mit „Nazi“ und „Antisemit“ gleichsetzt, ist ahnungslos und verleumderisch. Wer es dennoch tut, lasse uns Juden aus diesem miesen Spiel raus.

Die hysterischen Aiwanger-Kritiker messen mit zweierlei Maß. Konservativen werfen sie jugendliche Dummheiten, Widerwärtigkeiten, Fehler oder Straftaten lebenslänglich vor und fordern noch Jahrzehnte später, also heute, Konsequenzen. Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) gilt als Staatsmann. Dabei hatte er mit 25 Jahren einen Polizisten, also einen Staatsbeamten, brutal verprügelt. Vergeben und vergessen. Weil Joschka grün und Aiwanger konservativ ist?

Kein Zweifel: Joschka Fischer hat sich gewandelt. Vielleicht hat Hubert Aiwanger mit 17 tatsächlich Nazis verharmlost. Doch, anders als dem grünen Joschka, soll man dem konservativen Aiwanger nicht zubilligen, dass er sich gewandelt hat?

Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli postete: „Als Schüler verfasste Aiwanger ein antisemitisches Flugblatt, das alles überschreitet, was man für möglich gehalten hat.“ Inzwischen ist dieser Post von ihrem X-Account gelöscht. Aber Frau Chebli war als Jugendliche selbst bekennende Antisemitin. Für Aiwanger gilt also nicht, was für sie gilt. Entlarvend ist das.

SPD-Politikerin Sawsan Chebli (45)

SPD-Politikerin Sawsan Chebli (45)

Foto: picture alliance/dpa

Mein muslimischer Freund Ahmad Mansour gibt unumwunden zu: Als Jugendlicher war er Antisemit. Heute bekämpft er heldenhaft den Antisemitismus.

Die „Süddeutsche Zeitung“ ist eines der Leitmedien in Deutschland. In Bezug auf Juden hat selbst ihre Weste dunkle Flecken. Erinnert sei, dass sie zum Beispiel eine Karikatur über (sprich: gegen) Israels Ministerpräsidenten Netanjahu veröffentlichte, die sich nicht wirklich von den extrem antisemitischen Judenzeichnungen der Nazis unterschied.

Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt mehrheitlich gegen die jetzige Koalition aus CSU und Freien Wählern in Bayern. Das ist ihr gutes demokratisches Recht. Aber weder Aktivismus noch Verdachtsjournalismus sind Qualitätsjournalismus.

„Denunziantentum ist inakzeptabel“

Wie so viele reihte sich vorschnell auch unser Gesundheitsminister Lauterbach in die Anti-Aiwanger-Front ein: „Sollte er der Verfasser des menschenverachtenden ‚Ausschwitz Pamphlet‘ sein muss er zurücktreten“, twitterte der Herr Professor. Weiß er nicht, dass man Auschwitz nur mit einem S schreibt?

Fazit: Gerade, wer auf dem moralisch hohen Ross sitzt, sollte den Gegner nicht mit unsauberen Mitteln politisch vernichten wollen. Denunziantentum ist inakzeptabel – auch wenn man, wie ich, nicht die Partei Aiwangers wählt. Und, liebe deutsche Mitbürger, hört mit den unsäglichen Judenspielen auf, wenn ihr eure persönlichen oder politischen Süppchen kocht.

*Prof. Dr. Michael Wolffsohn , geboren 1947 in Tel Aviv als Sohn und Enkel von Holocaust-Überlebenden. Historiker. Autor der Bücher „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ (2022) und „Ewige Schuld? 75 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen“ (2023)

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