Helga Schubert

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Helga Schubert im Film Sonntagskind (2023)

Helga Schubert, Realname Helga Helm, (* 7. Januar 1940 in Berlin) ist eine deutsche Schriftstellerin und Psychologin, die in den 1960er-Jahren neben ihrer Berufsausübung mit dem Schreiben begann. In der DDR veröffentlichte sie Kinderbücher und Prosatexte, in denen sie auf stilistisch ungewöhnlich präzise Art Schicksale aus dem Alltag schildert. Hinzu kamen Theaterstücke, Hörspiele, Fernsehspiele und Filmszenarien. Nach der Wende machte Schubert sich vor allem durch ihr dokumentarisches Werk Judasfrauen einen Namen. Einem breiten Publikum wurde die Autorin durch die Auszeichnung mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 2020 bekannt. Schubert lebt und arbeitet zurückgezogen auf dem Land in der Nähe von Schwerin. Im Film Sonntagskind von Jörg Herrmann erzählt sie über ihr Leben.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ausbildung und Beruf[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Helga Schubert ist die Tochter einer Volkswirtin, die als Bibliothekarin tätig war, und eines Gerichtsassessors, der 1941 als Soldat im Zweiten Weltkrieg fiel. Sie wuchs in Ost-Berlin auf. Im Jahr 1957 legte sie ihre Reifeprüfung ab und arbeitete anschließend ein Jahr lang in einem Berliner Industriebetrieb am Band. Von 1958 bis 1963 studierte sie Psychologie an der Humboldt-Universität und erwarb den Grad einer Diplom-Psychologin. Sie war von 1963 bis 1977 im Hauptberuf und von 1977 bis 1987 nebenberuflich als klinische Psychologin tätig. Bis 1973 wirkte sie dabei in der Erwachsenen-Psychotherapie, von 1973 bis 1977 war sie wissenschaftlich – mit dem Ziel einer Promotion – an der Humboldt-Universität tätig. Diese Promotion wurde nicht vollendet. Von 1977 bis 1987 wirkte sie an der Ausbildung von Gesprächstherapeuten und in einer Eheberatungsstelle in Berlin mit.

Politisches Engagement[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Jahren 1976 bis 1989 wurde Helga Schubert vom Ministerium für Staatssicherheit wegen des Verdachts der „staatsgefährdenden Hetze und Diversion“ observiert, da sie sich in einer Gruppe mit Ulrich Plenzdorf und Stefan Heym an einer Berlin-Anthologie beteiligt hatte.[1]

In der Zeit der Wende und friedlichen Revolution in der DDR war sie von Dezember 1989 bis März 1990 parteilose Pressesprecherin des Zentralen Runden Tisches in Ost-Berlin. In Vorbereitung auf die Bundestagswahl 1994 wurde sie als Parteilose von der CDU-Parteigruppe von Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg innerhalb eines Tages gebeten und auch gewählt, im Wahlkreis Mitte-Prenzlauer Berg gegen Stefan Heym (PDS) und Wolfgang Thierse (SPD) anzutreten. Sie zog diese Kandidatur nach drei Tagen aus persönlichen Gründen zurück.

Arbeit als Schriftstellerin[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schubert publiziert seit 1975 und gehörte seit 1975 zunächst dem Schriftstellerverband der DDR und seit 1987 dem P.E.N.-Zentrum der DDR an. Von 1987 bis 1990 war sie vier Jahre lang Mitglied der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Nach der deutschen Wiedervereinigung wechselte sie 1991 zum PEN-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland. Ihre 1990 erschienenen „zehn Fallgeschichten weiblicher Denunziation“ mit dem Titel Judasfrauen behandeln das Thema „Denunziantinnen im Dritten Reich“ auf der Grundlage von Aktenstudien.[2][3]

Nach fast 20-jähriger Publikationspause erschien 2021 ihr Erzählungsband Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten.[4] Das Werk wurde im Jahr seiner Veröffentlichung für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik nominiert.[5]

Privates[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sie war in erster Ehe mit dem Maler und Grafiker Rolf Schubert (1932–2013) verheiratet. Die Ehe wurde Mitte der sechziger Jahre geschieden, aus ihr ging ein Sohn hervor. 1976 heiratete sie den Maler und früheren Professor für Klinische Psychologie, Johannes Helm, beide leben seit 2008 in Neu Meteln bei Schwerin[6] – auch bekannt als Künstlerkolonie Drispeth. In ihrem 2023 erschienenen Erzählband Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe hat sie ihr Leben mit ihrem pflegebedürftigen Mann verarbeitet, um den sie sich kümmert.[7]

Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1980 wurde Schubert auf Vorschlag von Günter Kunert zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur nach Klagenfurt eingeladen, bei denen der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen wird. Sie erhielt jedoch keine Genehmigung zur Ausreise aus der DDR nach Österreich. Begründet wurde die Entscheidung unter anderem damit, dass es keine „deutsche Literatur“ gebe; das Unternehmen „Bachmannpreis“ sei nur dazu da, um dieses Phänomen der deutschen Literatur voranzutreiben. Zudem war Marcel Reich-Ranicki Juryvorsitzender; ihn sah die Stasi als „berüchtigten Antikommunisten“ an.

1987 und in den folgenden Jahren – Reich-Ranicki war nicht mehr Vorsitzender – gehörte sie der Jury an.

2020, im Alter von 80 Jahren, wurde sie auf Vorschlag von Insa Wilke erneut zur Teilnahme eingeladen – und entschied ihn mit ihrem Text Vom Aufstehen für sich.[8][6][9] Er sei eine Hommage an Ingeborg Bachmanns Erzählung Das dreißigste Jahr, die mit einer Reflexion über das Aufstehen beginnt und die den Protagonisten am Ende zum Aufstehen auffordert – Ich sage dir: Steh auf und geh! Es ist dir kein Knochen gebrochen –, sagte Schubert in ihrer Dankesrede, die sie live in einer Videoübertragung von zu Hause aus hielt. Ursprünglich hätte sie den Text, anspielend auf ihr eigenes Alter und Ingeborg Bachmanns Text, Das achtzigste Jahr nennen wollen, habe die Idee dann aber verworfen.[10]

Ehrungen und Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Lauter Leben. Geschichten. Aufbau-Verlag, Berlin 1975.
  • Bimmi und das Hochhausgespenst. Kinderbuchverlag, Berlin 1980.
  • mit Jutta Kirschner: Bimmi und die Victoria A. Kinderbuchverlag, Berlin 1981.
  • Die Beunruhigung. Filmszenarium. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1982.
  • mit Jutta Kirschner: Bimmi und der schwarze Tag. Kinderbuchverlag, Berlin 1982.
  • Das verbotene Zimmer. Geschichten. Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt 1982.
  • Das Märchen von den glücklichen traurigen Menschen.[13]
  • mit Jutta Kirschner: Bimmi und ihr Nachmittag. Kinderbuchverlag, Berlin 1984.
  • Blickwinkel. Geschichten. Aufbau-Verlag, Berlin 1984.
  • Anna kann Deutsch. Geschichten von Frauen. Luchterhand Literaturverlag, Darmstadt 1985.
  • Und morgen wieder … Berlin 1985.
  • Schöne Reise. Geschichten. Aufbau-Verlag, Berlin 1988.
  • Über Gefühle reden? Berliner Verlag, Berlin 1988.
  • mit Rita Süssmuth: Gehen Frauen in die Knie? Zürich 1990.
  • Judasfrauen. Zehn Fallgeschichten weiblicher Denunziation im Dritten Reich. Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt am Main 1990.
  • mit Rita Süssmuth: Bezahlen die Frauen die Wiedervereinigung? Piper Verlag, München 1992.
  • mit Cleo-Petra Kurze: Bimmi vom hohen Haus. Kinderbuchverlag, Berlin 1992.
  • Die Andersdenkende. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1994.
  • Das gesprungene Herz. Leben im Gegensatz. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1995.
  • Die Welt da drinnen. Eine deutsche Nervenklinik und der Wahn vom „unwerten Leben“. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-15632-7.
  • Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2021, ISBN 978-3-423-28278-9.[14][15][16][17][18][19][20]
  • Helga Schubert über Anton Tschechow. Hrsg. von Volker Weidermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023, ISBN 978-3-462-00378-9.
  • Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2023, ISBN 978-3-423-28319-9.[21]

Filmografie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Brigitte Böttcher (Hrsg.): Bestandsaufnahme. Literarische Steckbriefe. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1976, Helga Schubert, S. 92 f.
  • Alessandro Bigarelli: Ethik und Diskurs im weiblichen Schreiben am Beispiel von Helga Schuberts Geschichten. Peter Lang, Frankfurt 1998.
  • Siegmar Faust: Schubert, Helga. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 2. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Julia Petzl: Realism and reality in Helga Schubert, Helga Königsdorf and Monika Maron. In: Historisch-kritische Arbeiten zur deutschen Literatur. Nr. 35. Peter Lang, Frankfurt am Main ; Berlin ; Bern ; Bruxelles ; New York ; Oxford ; Wien 2003, ISBN 978-3-631-50101-6 (Zugl.: Queensland, Univ., Diss., 2000).
  • Volker Weidermann: Richtung Sonne. Der späte Ruhm der Schriftstellerin Helga Schubert. In: Der Spiegel. Nr. 22, 29. Mai 2021, S. 116 ff.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Luitgard Koch: Interview - Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert: "Ich bin kein Jammertyp". Abgerufen am 25. Juli 2021.
  2. Sigrid Weigel: »Judasfrauen«. Sexualbilder im Opfer-Täter-Diskurs über den Nationalsozialismus. Zu Helga Schuberts Fallgeschichten., Feministische Studien, 1992, Band 10, Heft 1, S. 121–131.
  3. Jan Ruckenbiel: Soziale Kontrolle im NS-Regime - Protest, Denunziation und Verfolgung Zur Praxis alltäglicher Unterdrückung im Wechselspiel von Bevölkerung und Gestapo, Dissertation Universität – Gesamthochschule Siegen 2001, Köln: 2003, S. 125–126.
  4. Renate Meinhof: Zu Besuch bei Helga Schubert. Abgerufen am 29. März 2021.
  5. Julia Lücke: Preis der Leipziger Buchmesse: Das sind die Nominierten 2021. In: Leipziger Buchmesse. 13. April 2021, abgerufen am 10. Januar 2024.
  6. a b Helga Schubert gewinnt Bachmannpreis, sueddeutsche.de, erschienen und abgerufen am 21. Juni 2020.
  7. Elisa von Hof: „Liebe ist kein Zustand, sondern eine Aufgabe“. In: Der Spiegel. Nr. 11, 11. März 2023, S. 104.
  8. Eckhard Roelcke (Moderation): „Ich musste 80 werden, um das schreiben zu können“. In: deutschlandfunkkultur.de. 21. Juni 2020, abgerufen am 10. Januar 2024.
  9. Helga Schubert gewinnt Bachmannpreis. Der Spiegel, 21. Juni 2020, abgerufen am 21. Juni 2020.
  10. Marie Schmidt: Den Preis gewinnen. Den Mann weiter pflegen. In: Süddeutsche Zeitung. 21. Juni 2020, abgerufen am 22. Juni 2020.
  11. Christiane Oelrich: Späte Würdigung für Helga Schubert. Berliner Morgenpost, 21. Juni 2020, abgerufen am 21. Juni 2020.
  12. Johanna Steiner: Lauter Leben, lauter Schmerz. In: Die Tageszeitung: taz. 27. Juni 2020, ISSN 0931-9085, S. 14 (taz.de [abgerufen am 27. Juni 2020]).
  13. Originalbeitrag in der Anthologie von Horst Heidtmann, Hg.: Die Verbesserung des Menschen. Märchen. Beitr. von Franz Fühmann u. a.- Luchterhand, Darmstadt 1982. S. 102–108. Die übrigen Beiträge in dieser Sammlung sind Auszüge aus größeren Werken der jeweiligen Autoren.
  14. Andreas Wirthensohn: Buchkritik - Nichts ist unwichtig: "Vom Aufstehen" von Helga Schubert. In: Wiener Zeitung. 21. März 2021, abgerufen am 25. Februar 2023.
  15. Dirk von Petersdorff: Zum Frühstück Kuchen mit Muckefuck. Als Helga Schubert den Bachmann-Preis gewann, kannten viele sie noch nicht oder hatten sie vergessen: Jetzt kann man sie besser kennenlernen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 18. März 2021, S. 10.
  16. Stephan Wackwitz: Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert: Verschüttete Erfahrungen. In: Die Tageszeitung. 20. März 2021, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 25. Februar 2023]).
  17. Maike Albath: Helga Schubert: "Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten" - Bis ins hohe Alter wehrlos gegen den Schmerz. In: Deutschlandfunk. 8. März 2021, abgerufen am 25. Februar 2023.
  18. Peter Henning: Helga Schubert: "Vom Aufstehen" - Vom Hinfallen und Wiederaufstehen. In: Deutschlandfunk. 25. Mai 2021, abgerufen am 25. Februar 2023.
  19. Lenore Lötsch: "Vom Aufstehen": Helga Schubert blättert ihr Leben auf. In: NDR. 28. Mai 2021, abgerufen am 25. Februar 2023.
  20. Stephan Wolting: Leben muss nicht immer eine Pointe haben - Ein deutsches Schicksal – Ein literarisiertes Leben: Die Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert erzählt in „Aufstehen“ Teile ihres Lebens in Geschichten. In: literaturkritik.de. 31. Mai 2021, abgerufen am 25. Februar 2023.
  21. Doch, auch das ist ein Leben! Abgerufen am 14. März 2023.