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Christian Stöcker

China und die Impfstoffe Von Putin lernen heißt lügen lernen

Christian Stöcker
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Chinas Regime betreibt schon länger Auslandspropaganda, aber in der Pandemie bekommt sie eine neue Qualität: Die Volksrepublik bedient Verschwörungsnarrative – wie man es von russischer Propaganda kennt.
Xi Jinping und Wladimir Putin: Anti-Impfstoff-Propaganda in großem Stil

Xi Jinping und Wladimir Putin: Anti-Impfstoff-Propaganda in großem Stil

Foto: Mikhail Svetlov / Getty Images

Als Chinas Staatspräsident Xi Jinping diese Woche beim virtuellen Weltwirtschaftsforum sprach , hatte er Pathos mitgebracht: Man habe immer wieder erfahren, dass »es allein zu machen, in arrogante Isolation zu verfallen, immer scheitern wird«. Die Twitteraccounts von Sprechern des chinesischen Außenministeriums bemühten sich, diesen Aspekt der Rede möglichst weit in die Welt hinauszutragen. China, so die Botschaft, sucht Kooperation.

Einer der Multiplikatoren war Zhao Lijian. Er und ähnlich kommunizierende Sprachrohre der chinesischen Regierung tragen den Spitznamen »Wolfskrieger« , benannt nach einem chinesischen Actionhelden. Lijian hat bei Twitter knapp 880.000 Follower. Er steht für eine neue Aggressivität in der chinesischen Kommunikation nach außen.

Quellen aus Bulgarien, Indien, Russland

Ein paar Tage vor Xis Rede war der Wolfskrieger noch weniger versöhnlich unterwegs bei Twitter. Am 15. Januar verschickte eine Moderatorin  des chinesischen Staatsfernsehens, Liu Xin, einen von vielen Tweets zu ihrem aktuellen Lieblingsthema: Zweifel säen an den westlichen Corona-Impfstoffen und Vertuschung insinuieren. »Kann ich nicht unabhängig verifizieren«, stand darin, »aber es ist beunruhigend.« In Deutschland seien zehn Menschen »binnen Tagen« nach einer Impfung mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer gestorben. Zum Beleg fügte Xin zwei Screenshots von Medienberichten ein, beide mit alarmistischen Überschriften. Wolfskrieger Zhao Lijian vom Außenministerium reichte den Tweet an seine 880.000 Follower weiter.

Die zwei Quellen, auf die sich die beiden beriefen: eine bulgarische Website namens »SeeNews« und »Republic World«, die Website eines indischen TV-Senders, der seiner Selbstbeschreibung zufolge »im Kern nationalistisch« ist. Der »SeeNews«-Artikel zitiert vermeintlich die Deutsche Presse-Agentur. Dann muss das ja stimmen! Klickt man auf den Link zur angeblichen Quelle, landet man aber nicht bei der dpa, sondern im arabischsprachigen Angebot von Russia Today, dem internationalen Propagandamedium des Kremls. Russische und chinesische Desinformation, Hand in Hand.

Ein Schnipsel Faktum, aufgebläht, verdreht, skandalisiert

Tatsächlich gibt es eine dpa-Meldung über eine Mitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts, in der es unter anderem um zehn Menschen geht, die in Deutschland in zeitlicher Nähe zu ihrer Covid-19-Impfung gestorben waren. Eine Sprecherin des Instituts wird darin mit den Worten zitiert , es habe sich um »sehr schwer kranke Menschen mit vielen Grunderkrankungen« gehandelt. Man gehe davon aus, »dass die Patienten an ihrer Grunderkrankung gestorben sind«. Um den Maßstab deutlich zu machen: Zu diesem Zeitpunkt hatten in Deutschland bereits 800.000 Menschen ihre erste Impfdosis erhalten.

Das Muster, das sich hier zeigt, ist längst bekannt: Eine harmlose Nachricht wird so verstümmelt und verdreht, dass sich daraus eine flammende Anklage vermeintlicher Vertuschung machen lässt. Diese Verdrehung nimmt dann ihren Weg über diverse obskure Plattformen und wird schließlich dort verstärkt und weiterverbreitet, wo man auf hohe Reichweite hoffen kann, aber keine lästige Quellenprüfung riskiert.

Die chinesische Fernsehmoderatorin, die die beiden merkwürdigen Anti-Impfstoff-Nachrichten verbreitete, bettete in ihren Tweet wohlweislich nur Screenshots ein, keine Links. Man will es denjenigen, die die Behauptung nachprüfen wollen, ja nicht zu leicht machen.

Irgendwo im Kern des Propaganda-Spins steckt der Schnipsel einer echten Nachricht. Den Rest erledigt die Bestätigungsverzerrung  des geneigten Publikums, das auf der Suche nach Futter für die eigenen Verschwörungsideen ist.

Mittlerweile beschwert sich Liu Xin bei Twitter, dass westliche Medien über diese Propagandaaktion berichten, ohne sie vorher zu kontaktieren. Das zeige, dass diese Medien »sich ihrer eigenen Dominanz nicht mehr sicher« seien.

Eine neue Qualität der Desinformation

China betreibt schon seit vielen Jahren mediale Propaganda nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Das chinesische Regime hat sich Plattformen zugelegt, die seine Botschaften hinaus in die Welt tragen sollen. Die Boulevardzeitung »Global Times« beispielsweise publiziert schon seit 2009 auf Englisch, der Sender CGTN ist eine Art chinesisches Pendant zu Russia Today (heute von den Betreibern lieber RT genannt). Zusätzlich werden laut »Reporter ohne Grenzen« immer mehr ausländische Medien ganz oder teilweise aufgekauft . In Deutschland finanziert China bislang vor allem Beilagen in renommierten Zeitungen, was für viel Unmut gesorgt hat .

Seit jeher vertreten diese Medien die Parteilinie, preisen die kommunistische Führung in Peking und erfreuen sich an allem, was im Westen schiefgeht.

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Ton verschärft, von Russland gelernt

Mittlerweile aber werden, im Moment primär im Kontext der Pandemie und ihrer Bekämpfung, auch Narrative vorangetrieben, die perfekt zu Verschwörungstheorien passen, die im Westen kursieren. Das hat China sich augenscheinlich von Russland abgeschaut, denn Putins Propagandisten arbeiten schon seit vielen Jahren aktiv daran, alles, was im Westen Spaltung, Verwirrung und Zweifel an Institutionen säen könnte, mit Futter zu versorgen. Der russische Staatssender RT ist eine Lieblingsquelle all derer, die in Deutschland gern von der »Systempresse« schwadronieren.

Auch Russland betreibt selbstverständlich Anti-Impfstoff-Propaganda in großem Stil. Jede Meldung, die sich irgendwie in die gewünschte Richtung drehen lässt, wird dankbar aufgegriffen, sowohl für ein inländisches  wie für ein internationales Publikum. Zur Not schafft man seine eigenen Nachrichten, etwa indem man, wie RT, den iranischen Außenminister interviewt, der dann pflichtschuldig erklärt, sein Land werde »ausschließlich russische, chinesische, indische und sobald vorhanden auch eigene Impfstoffe gegen Covid-19« zum Einsatz bringen.

Für die Propagandisten aus Russland und China ist es ein kommunikativer Drahtseilakt: Man will ja nicht Impfungen generell verteufeln, sondern nur die eigenen Impfstoffe als hervorragend, die der anderen dagegen als gefährlich, nutzlos oder beides darstellen. Deutsche Impfgegner aber dürften diese Differenzierung kaum nachvollziehen und die aufgeblasenen Nichtmeldungen als Bestätigung für ihre eigenen Ängste wahrnehmen.

Neue Absatzmärkte weich klopfen?

Den Propagandisten geht es neben nationalistischen Motiven auch um knallharte Geschäftsinteressen: Es gibt noch eine Menge Staaten außerhalb Europas, denen man die eigenen Impfstoffe gern verkaufen möchte.

Irgendwo im Kern des Propaganda-Spins steckt der Schnipsel einer echten Nachricht.

Da kommt was auf uns zu

Die Propagandatruppen des Kremls haben »die Kunst, mit Halbwahrheiten zu lügen«, perfektioniert, wie die EU-Propagandawächter bei »EUvsDisinfo«  das nennen. Und sie kennen ihre Zielgruppe.

Dass auch China jetzt nach der gleichen Strategie verfährt, passt zu einem generellen Trend in der Staatspropaganda des Landes: Sie wird aggressiver, Stichwort Wolfskrieger. Es wird nicht mehr primär auf die eigenen Propagandathemen geschaut – Hongkong, Taiwan et cetera, sondern aktiv der eigene Anspruch auf eine globale Vormachtstellung angemeldet, indem man »den Westen« schlechtmacht.

Neben dem Impfstoffnarrativ ist vor allem die These, Demokratien seien generell instabil und schwach, ein beliebtes Thema. Vermutlich hat man sich nirgendwo so über den Sturm auf das US-Kapitol gefreut wie in der Redaktion der »Global Times«.

Twitter beispielsweise hat dieser Entwicklung unter anderem damit Rechnung getragen, dass chinesische Staatsmedien- und Regierungsaccounts jetzt als solche gekennzeichnet werden . Dem in Hongkong beheimateten China Media Project zufolge hat das auch schon Auswirkungen: Tweets entsprechender Accounts würden seit der Änderung im August 2020 seltener gelikt und weitergereicht .

Sollte Chinas Regierung jedoch dazu übergehen, mit der gleichen Verve, ähnlicher Strategie und vergleichbarem Aufwand ins internationale Geschäft mit Desinformation zur Destabilisierung anderer Nationen einzusteigen, wie Russland das längst getan hat, kommen auf westliche Gesellschaften ganz neue Herausforderungen zu.