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Benedikt XVI. gibt 68ern Mitschuld an Kindesmissbrauch

Lucas Wiegelmann analysiert Vorwürfe gegen Papst Benedikt XVI.

Nach der Veröffentlichung eines Gutachtens zu Fällen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Erzbistum München und Freising wird eine konsequente Aufarbeitung gefordert. Lucas Wiegelmann, Ressortleiter Forum, analysiert die Vorwürfe.

Quelle: WELT

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Der Aufsatz ist beinahe drei Jahre alt – angesichts aktueller Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. aber, lässt er diesen in keinem guten Licht stehen. Schuld am Missbrauch in der Kirche sei auch der Wandel der Sexualmoral.

In einem 2019 erschienenen Aufsatz hat der emeritierte Papst Benedikt XVI. auch den Umwälzungen der 68er-Jahre eine Schuld an den Missbrauchsskandalen gegeben, die aktuell die Katholische Kirche erschüttern. Auch Benedikt XVI. war in einem in dieser Woche erschienenen Gutachten schwer belastet worden. Konkret geht es um Fehlverhalten im Umgang mit vier Fällen von sexuellem Missbrauch während seiner Zeit als Erzbischof des Bistums München und Freising – die Erklärungen des früheren Kirchenoberhauptes halten die Gutachter für nicht glaubwürdig.

Im Aufsatz von 2019 schreibt der heute 94-Jährige, man könne sagen, „dass in den 20 Jahren von 1960 – 1980 die bisher geltenden Massstäbe in Fragen Sexualität vollkommen weggebrochen sind und eine Normlosigkeit entstanden ist, die man inzwischen abzufangen sich gemüht hat“. So ist es unter anderem auf der Webseite des zum Erzbistum Köln gehörenden „Domradio“ zu lesen. In Deutschland und Österreich habe es damals beispielsweise tabubrechende Werbung gegeben oder auch als Aufklärungsfilme gedachte Werke, die „danach wie selbstverständlich als allgemeine Möglichkeit angenommen worden“ seien. Dort sei beispielsweise Geschlechtsverkehr gezeigt worden oder auch „zwei völlig nackte Personen im Grossformat in enger Umarmung“.

Aus dieser Entwicklung schließt Benedikt in seinem Aufsatz:

„Zu den Freiheiten, die die Revolution von 1968 erkämpfen wollte, gehörte auch diese völlige sexuelle Freiheit, die keine Normen mehr zuliess. Die Gewaltbereitschaft, die diese Jahre kennzeichnete, ist mit diesem seelischen Zusammenbruch eng verbunden. In der Tat wurde in Flugzeugen kein Sexfilm mehr zugelassen, weil in der kleinen Gemeinschaft der Passagiere Gewalttätigkeit ausbrach. Weil die Auswüchse im Bereich der Kleidung ebenfalls Aggression hervorriefen, haben auch Schulleiter versucht, eine Schulkleidung einzuführen, die ein Klima des Lernens ermöglichen sollte.“

Zudem habe es zur „Physiognomie“ dieser Zeit gehört, dass „nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde“. Unter anderem für „die jungen Menschen in der Kirche“ sei das „eine schwierige Zeit“ gewesen: „Ich habe mich immer gefragt, wie junge Menschen in dieser Situation auf das Priestertum zugehen und es mit all seinen Konsequenzen annehmen konnten.“

Ebenfalls zu dieser Zeit habe sich, so der frühere Papst, unabhängig von allgemeinen Veränderungen der Sexualmoral ein „Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte.“ Anschließend beschreibt er diesen Vorgang ausführlich. Er schließt mit der Feststellung, in den 60er-Jahren habe ein „lang vorbereitete(r) und im Gang befindliche(r) Auflösungsprozess der christlichen Auffassung von Moral“ eine „Radikalität erlebt, wie es sie vorher nicht gegeben hat“.

Die „Auflösung der moralischen Lehrautorität“ habe sich „notwendig“ auch auf die Lebensbereiche der Kirche auswirken müssen. Beispielsweise sei bei Priesterseminaren als Vorbereitung auf dieses Amt ein „weitgehender Zusammenbruch“ der bisherigen Form festzustellen gewesen. Geäußert habe sich das unter anderem in der Bildung „homosexuelle(r) Clubs, die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten“.

Was Pädophilie angehe, sei diese, „soweit ich mich erinnere“, erst in den späteren 80er-Jahren zu einem größeren Thema geworden. In den USA sei sie da bereits zu einem „öffentlichen Problem“ geworden. In Rom sei man aber der Meinung gewesen, „die zeitweilige Suspension vom priesterlichen Amt (müsse) ausreichen, um Reinigung und Klärung zu bewirken.“

„Sehr wichtig, den Lügen und Halbwahrheiten des Teufels die ganze Wahrheit entgegenzustellen“

Er sei mit seinem Vorgänger, Papst Johannes Paul II., einig gewesen, dass das Kirchenrecht dahingehend angepasst werden müsse, dass Täter auch aus dem Klerus ausgeschlossen werden könnten. Papst Franziskus habe mittlerweile sogar weitere Reformen vorgenommen. Man müsse in einem solchen Fall aber auch die Tat klar beweisen können. Ohnehin sei es „wichtig zu sehen, dass bei solchen Verfehlungen von Klerikern letztlich der Glaube beschädigt wird: Nur wo der Glaube nicht mehr das Handeln des Menschen bestimmt, sind solche Vergehen möglich.“

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Gegen Ende seines Textes fragt der frühere Papst, wie es zur Ausbreitung von Missbrauch kommen konnte. „Im letzten liegt der Grund in der Abwesenheit Gottes“, schreibt er. In der westlichen Gesellschaft sei Gott „abwesend“ und habe „für sie nichts mehr zu sagen“. Daher habe sich auch die Pädophilie ausbreiten können. Die Lösung des Problems bestehe unter anderem darin, zum Glauben zurückzufinden: „Wir müssen vor allen Dingen selbst wieder lernen, Gott als Grundlage unseres Lebens zu erkennen (...).“

Die Kirche müsse, schließt der frühere Papst, „alles tun, um das Geschenk der heiligen Eucharistie vor Missbrauch zu schützen“. Das sei ihm auch in Gesprächen mit „Opfern der Pädophilie“ bewusst geworden. Es gehe in der „Anklage gegen Gott“ meist darum, die Kirche als Ganzes schlechtzumachen. Darum sei es „sehr wichtig, den Lügen und Halbwahrheiten des Teufels die ganze Wahrheit entgegenzustellen: Ja, es gibt Sünde in der Kirche und Böses. Aber es gibt auch heute die heilige Kirche, die unzerstörbar ist.“

säd

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