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Im Philanthropin unter Polizeischutz lernen

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Schulleiterin Noga Hartmann ist heute Gastgeberin für die Feier anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Lichtigfeldschule.
Schulleiterin Noga Hartmann ist heute Gastgeberin für die Feier anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Lichtigfeldschule. © Frank Rumpenhorst (dpa)

Geborgenheit, Sicherheit und Multikulti: Die erste jüdische Schule nach der Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur feiert Jubiläum. Vor 50 Jahren wurde sie in Frankfurt wieder eröffnet.

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit ist vor 50 Jahren in Frankfurt am Main die erste jüdische Schule in Deutschland nach dem Holocaust wieder eröffnet worden. Landesrabbiner Isaak Emil Lichtigfeld sprach bei der Einschulung der 30 zumeist jüdischen Erst- und Zweitklässler von einem „Experiment“. „Wir wollen kein großes Aufsehen. Die Schule ist ein zartes Pflänzchen, das noch viel begossen werden muss“, sagte Lichtigfeld. Nicht weit von den Unterrichtsräumen in der Synagoge führte das Landgericht gerade den zweiten Auschwitzprozess.

Die heutige Elternbeiratsvorsitzende Miriam Speier beschreibt die Stimmung in der jüdischen Gemeinde zur Zeit der Schulgründung 1966 so: „Alle saßen noch auf gepackten Koffern.“ Und heute? „Wir haben die Koffer längst ausgepackt, passen aber auf, ob wir sie nicht wieder packen müssen. Und unsere Kinder haben bisweilen dasselbe Gefühl.“ Antisemitismus sei wieder offener und salonfähiger geworden. „Wir fühlen uns hier wohl, aber wir müssen wachsam sein“, sagt die gebürtige Frankfurterin.

Kontrollen gewohnt

Polizeischutz und strenge Einlasskontrollen gehören zum Alltag der Ganztagsschule mit Gymnasialzweig, die nach Lichtigfeld benannt ist. Cathy Miller, die in Speiers Parallelklasse ging, sagt: „Unsere Kinder sind seit dem Alter von drei Jahren daran gewöhnt, durch eine Sicherheitsschleuse geführt zu werden, um in ihren Kindergarten zu gelangen. Das ist ein Zeichen, dass wir eine Minderheit sind, die bedroht ist.“ Die Lichtigfeld-Schule sei angesichts des wieder erstarkten Antisemitismus „eine Insel der Glückseligen“.

Rund 400 Jungen und Mädchen besuchen die angesehene Schule, die zu den größten der inzwischen zehn jüdischen Schulen in Deutschland gehört. „Die meisten Schüler sind jüdisch, wir haben aber auch welche mit christlichem, atheistischem, muslimischem und buddhistischem Hintergrund“, sagt Schulleiterin Noga Hartmann. „Wir sind multikulturell. Toleranz und Akzeptanz muss man leben.“ Hebräisch, Russisch, Englisch: Die meisten Kinder wüchsen zweisprachig auf. Am Mittwoch (13. Juli) feiert die staatlich anerkannte Privatschule ihre Eröffnung vor 50 Jahren. Mit dabei sein wird der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster.

Speier erlebte ihre eigene Einschulung fünf Jahre nach der Schulgründung als „etwas völlig Normales“. „Ich war mir des Unterschieds zu anderen Schulen nicht so bewusst.“ Bis heute fühlt sich die Mutter dreier Kinder mit ihrer Schule eng verbunden. Die „vertrauensvolle und behütende Atmosphäre an der Lichtigfeld-Schule“ trage die Kinder. Der Austausch zwischen Schulleitung, Eltern und Lehrern sei eng, die Gestaltungsmöglichkeiten für Eltern groß. „Ich schätze besonders die Geborgenheit und die Sicherheit, die diese Schule, neben Bildung und Wertevermittlung, den Kindern gibt.“

Die Philosophie der Schule beschreibt Leiterin Hartmann so: „Mit Herz und Verstand glückliche und erfolgreiche Kinder auf das Leben vorzubereiten.“ Die Schule habe von Anfang an nicht nur jüdische Religion, sondern auch jüdische Inhalte in das Schulleben und den Unterricht einfließen lassen, heißt es auf der von Miller betreuten Internetseite. Den offenen und liberalen Charakter habe die nicht-jüdische Schulleiterin Ruth Moritz – die 26 Jahre im Amt war - von den ersten Tagen an mitgeprägt.

„Wir haben ein bestimmtes Profil und eine bestimmte Atmosphäre, dazu müssen die Kinder passen“, erklärt Hartmann die Tatsache, dass nicht alle Kinder aufgenommen werden können. Zum Profil gehörten kleine Klassen mit maximal 22 Schülern, gezielte Förderung und vielfältige Freizeitangebote. Die Fürsorge für die Kinder werde groß geschrieben.

Zurück ins Nordend

20 Jahre nach ihrer Gründung (1986) zog die einzige jüdische Schule Hessens in das neue Gemeindezentrum im Frankfurter Westend. Es dauerte dann noch einmal 20 Jahre bis sie ins bereits 1804 gegründete Philanthropin in der Hebelstraße ziehen konnte. Diese Bildungsstätte war bis zu ihrer Schließung durch die Nazis eine der bedeutendsten in Deutschland. Der Gründer des Hauses Rothschild, Banker Mayer Amschel Rothschild (1744-1812), hatte die Gründung in Auftrag gegeben. Zunächst für arme jüdische Jungen gedacht, nahm die Schule aufgrund des Mangels an öffentlichen Schulen auch nicht-jüdische Schüler auf.

„Es ist eine Erfolgsgeschichte, dass unsere Gemeinden so gewachsen sind, dass die Einrichtung jüdischer Schulen möglich wurde und wird“, sagt Schuster mit Blick auf die vergangenen 50 Jahre. „Denn nur in großen jüdischen Gemeinden haben wir ausreichend Schüler.“ Die Lichtigfeld-Schule soll vom Schuljahr 2018/19 an eine Oberstufe (G8) bekommen. In Düsseldorf fängt zum neuen Schuljahr laut Zentralrat ein Gymnasium an, und in München gibt es Pläne für ein Gymnasium.

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