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Eindämmung der Corona-Pandemie Wissenschaftler werben für europaweite »No Covid«-Strategie

Renommierte Forscherinnen und Forscher aus Medizin und Wirtschaft fordern einen europaweiten Aktionsplan. Dabei geht es um eine koordinierte Überwachung des Infektionsgeschehens – nicht um zusätzliche Verbote.
»Inzidenzwerte möglichst in der Größenordnung von zehn«: Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

»Inzidenzwerte möglichst in der Größenordnung von zehn«: Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

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Thomas Trutschel / photothek / imago images

Die Fallzahlen müssen so schnell wie möglich sinken – darüber ist sich die Forschergemeinschaft weitgehend einig. Bei der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden soll, gibt es immer wieder Meinungsverschiedenheiten. Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Medizin und Wirtschaft einen Aktionsplan für eine europaweit konsequentere und effizientere Eindämmung der Corona-Pandemie vorgelegt.

Veröffentlicht wurde der vorgeschlagene Katalog von Maßnahmen zuerst in der britischen Medizinzeitschrift »The Lancet«.  Beteiligt sind aus Deutschland Viola Priesemann vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig sowie Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung.

Die Forscher nennen ihre Initiative »No Covid«. Die »Zero Covid« -Strategie eines weitgehenden und langen Lockdowns lehnen die 13 Wissenschaftler dagegen wegen der gravierenden wirtschaftlichen Folgen ab. »Das ist einfach nicht sinnvoll«, sagte Fuest.

»Der Leitgedanke ist, die Fallzahlen so schnell wie möglich zu reduzieren, da dies starke Vorteile für die Gesundheit, die Gesellschaft und die Wirtschaft hat«, heißt in dem gemeinsamen Papier. »Je niedriger die Fallzahlen, desto einfacher ist die Kontrolle, desto mehr Freiheit und mehr Kontakte kann jeder einzelne haben«, sagte Priesemann. Dabei sei ein länderübergreifendes Vorgehen wichtig, denn »die Viren machen nicht an der Grenze halt«. Ein halbherziges Vorgehen bringe wenig, sinnvoller sei mehr Konsequenz für einen kürzeren Zeitraum.

Brinkmann wies Forderungen zurück, sich in der Pandemie auf den Schutz älterer Menschen zu konzentrieren. Zwar sei der Schutz vulnerabler Gruppen sehr wichtig, doch »das ist sehr schwierig, wenn das Infektionsgeschehen insgesamt sehr hoch ist«. So wollten auch Ältere besucht werden, zudem habe das Personal in Heimen auch oft »eine Familie, Kinder, die zur Schule gehen«, wodurch Infektionen in die Schutzzonen eingeschleppt würden.

Inzidenzwerte möglichst um zehn Fälle pro 100.000 Einwohner

»Entschlossenes und koordiniertes europäisches Vorgehen gegen die Pandemie ist wegen der engen grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Verflechtung in Europa auch aus ökonomischer Sicht erforderlich«, betonte Peichl. »Die Vorstellung, man könne einfach die Wirtschaft öffnen, auch wenn ein gefährliches Virus grassiert, ist eine Illusion«, warnte ifo-Chef Clemens Fuest. Die Folgen der Pandemie selbst seien ökonomisch wesentlich schädlicher als der Lockdown.

Als Zielgröße nannte Brinkmann Inzidenzwerte möglichst in der Größenordnung von zehn. Dies sei durchaus in überschaubarer Zeit erreichbar, wie Beispiele anderer Länder oder auch die niedrigen Inzidenzwerte in Deutschland im vergangenen Sommer zeigten. Angestrebt werden sollten zunächst grüne Zonen, in denen dann auch mehr Bewegungsfreiheit möglich sei.

Die Forscherinnen verwiesen auch auf die Gefahr der Virusmutanten, die sich gewissermaßen im Schatten der bekannten Virusform verbreiten könnten. Wenn dagegen keine Maßnahmen ergriffen würden, werden die Fallzahlen und Krankenhauseinweisungen ansteigen.

Eine Notwendigkeit für drastische zusätzliche Einschränkungen sehen die Forscherinnen und Forscher nicht, wohl aber für einen klügeren und effizienteren Lockdown, wie Priesemann sagte. Beispielsweise seien keine Grenzschließungen erforderlich, sofern die Reisenden vor und nach dem Grenzübertritt konsequent getestet würden, sagte Brinkmann. Bei der Kontaktbeschränkung seien kleine, stabile soziale Blasen weniger problematisch als ständig wechselnde Kontakte.

Generell sollten die Bedingungen für Homeoffice und Onlineunterricht verbessert werden, um Infektionsrisiken zu mindern. Wo dies nicht gehe, sollten auch an Schulen und Arbeitsplätzen mehr kostenlose Tests angeboten werden, um Ausbrüche frühzeitig zu erkennen.

joe/AFP/dpa

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