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Menschenrechte Fachleute fordern Stopp des EU-China-Abkommens

Mehr als hundert Experten fordern nach SPIEGEL-Informationen, das Investitionsabkommen der EU mit China zu beenden. Sie verweisen auf Menschenrechtsverletzungen und die Unterdrückung von Demokratiebewegungen.
Videogipfel mit Chinas Präsident Xi, EU-Ratspräsident Michel, Kanzlerin Merkel, Präsident Macron und EU-Kommissionschefin von der Leyen (Foto vom 30. Dezember 2020): Langjährige Verhandlungen

Videogipfel mit Chinas Präsident Xi, EU-Ratspräsident Michel, Kanzlerin Merkel, Präsident Macron und EU-Kommissionschefin von der Leyen (Foto vom 30. Dezember 2020): Langjährige Verhandlungen

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JOHANNA GERON / REUTERS

Es ist eine breite Front, die sich in den vergangenen Tagen zusammengefunden hat: Mehr als hundert renommierte China-Experten, Forscher und Menschenrechtsaktivisten aus aller Welt wollen das Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und China kippen, zumindest vorübergehend. 

»Trotz Beweisen für ethnische Säuberungen, Zwangsarbeit und andere grobe Menschenrechtsverletzungen hat sich die Führung der europäischen Institutionen dafür entschieden, ein Abkommen zu unterzeichnen, das von der chinesischen Regierung keine sinnvollen Verpflichtungen verlangt, um ein Ende der Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder der Sklaverei zu garantieren«, heißt es in einem offenen Brief an die Institutionen der EU, der dem SPIEGEL vorab vorliegt.

Am 30. Dezember hatte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, den erfolgreichen Abschluss der siebenjährigen Verhandlungen mit der Volksrepublik China verkündet. »Die heutige Einigung ist ein wichtiger Meilenstein in unseren Beziehungen zu China und für unsere wertebasierte Handelsagenda«, so die CDU-Politikerin. 

Das Abkommen soll unter anderem den Zugang in den chinesischen Markt für europäische Unternehmen verbessern und für fairere Wettbewerbsbedingungen sorgen. Das Abkommen ist noch nicht in Kraft getreten und muss noch vom Europaparlament ratifiziert werden. Die Unterzeichner des offenen Briefs wollen das verhindern.

Das Abkommen »beruht auf einer naiven Annahme über den Charakter der Kommunistischen Partei Chinas«, außerdem »zementiert es die bestehende strategische Abhängigkeit Europas von China weiter und widerspricht den europäischen Grundwerten«, so die Kritiker.

Schon die jetzige Abhängigkeit Europas sei »alarmierend«, heißt es weiter. Demnach hätten chinesische Staatsunternehmen die Gelegenheit nach der Finanzkrise 2008 genutzt und sich »in erheblichem Umfang an wichtiger europäischer Infrastruktur« eingekauft.

»Illusorisch, sich vorzustellen, dass China seine Versprechen zu diesen Fragen der Investitionen und des Handels einhalten wird«

Die Argumente der Befürworter des jüngsten Investitionsabkommens, laut denen China deutliche Zugeständnisse im Bereich der Arbeitsrechte abverlangt würden, weisen die Verfasser des offenen Briefs entschieden zurück. Diese seien »so vage, dass sie im Wesentlichen nutzlos« seien. 

»Darüber hinaus ist es illusorisch, sich vorzustellen, dass China seine Versprechen zu diesen Fragen der Investitionen und des Handels einhalten wird, wenn es seine Versprechen in den letzten Jahren so regelmäßig gebrochen hat.« Als Beispiele werden die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, Zwangsarbeitslager für die muslimischen Uiguren, die jüngsten Sanktionen Pekings gegen Australien und das Säbelrasseln gegenüber Taiwan genannt.

Zu den Unterzeichnern gehören neben Forschern von der London School of Economics und der Universität Princeton der in Deutschland lebende Dolkun Isa, Präsident des Weltkongresses der Uiguren, der ehemalige italienische Außenminister Giulio Terzi di Sant'Agata und die Professorin Harriet Evans von der Universität Westminister in Großbritannien, die Expertin für Gender- und Menschenrechtsfragen in China ist. 

Die Unterzeichner fordern die Europäische Union auf, »sich unverzüglich aus dem umfassenden Investitionsabkommen zwischen China und der Europäischen Union zurückzuziehen« und die weiteren Verhandlungen auf Eis zu legen, bis sich die Menschenrechtslage erheblich und nachweisbar verbessert habe.

Andreas Fulda, Mitinitiator des Briefs und Senior Fellow am Asien-Forschungsinstitut der Universität Nottingham, sagt: »Die Europäische Kommission tut so, als ob man Politik und Wirtschaft voneinander trennen kann, was im Fall von China aber unmöglich ist.« 

Auch die China-Expertin Mareike Ohlberg, Senior Fellow im Asien-Programm des German Marshall Fund, wirft Brüssel mangelndes Realitätsbewusstsein vor: »Es wird versucht, das Abkommen als Erfolg zu verkaufen. Damit offenbart sich ein fehlendes Verständnis über die Verlässlichkeit Chinas als Vertragspartner«. 

Jakub Janda, Direktor des European Values Center aus Prag, sieht die Souveränität Europas in Gefahr und kritisiert auch die deutsche Rolle während der Verhandlungen: »Deutschland hat das Abkommen innerhalb der EU vorangetrieben und stellt die egoistische Gier bestimmter Konzerne damit über die geopolitische Sicherheit Europas.«

Die EU-Kommission rechnet damit, dass das Investitionsabkommen Anfang 2022 final abgeschlossen wird. Der genaue Wortlaut soll bald vorgelegt werden.