Ukraine 17.02.2017

Angriffe gegen Journalisten aufklären

Ein Fotograf dokumentiert den Abtransport eines verletzten Demonstranten am 20. Februar 2014 in Kiew. © picture alliance/dpa

Zum dritten Jahrestag der Eskalation von Protesten auf dem Maidan in Kiew fordert Reporter ohne Grenzen die ukrainischen Behörden auf, Angriffe auf Medienschaffende zu untersuchen und die Verantwortlichen nicht straffrei davonkommen zu lassen. Am 20. Februar 2014 starben rund einhundert Demonstranten in der Hauptstadt, mindestens 50 wurden durch Scharfschützen getötet. Die meisten Angriffe auf Journalisten, die 2014 über die Maidan-Bewegung berichtet hatten, wurden bis heute nicht aufgeklärt.

„Bei ihrer Berichterstattung über die Maidan-Proteste wurden Journalisten angegriffen und verletzt. In den meisten Fällen kamen die Verantwortlichen straffrei davon“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die ukrainischen Behörden müssen Angriffe gegen Journalisten in allen Teilen des Landes verfolgen und die Verantwortlichen für die Verbrechen zur Rechenschaft ziehen.“

Allein am 18. und 19. Februar 2014 wurden mindestens 29 Journalisten verletzt. Zu den Verletzten gehörten zum Beispiel der Reuters-Fotograf Glib Garanitsch, der von einer Blendgranate getroffen wurde. Der Westi-Fotograf Wolodimir Borodin wurde bei der Räumung einer Straße in der Kiewer Innenstadt von Polizisten der Spezialeinheit Berkut geschlagen, obwohl er eine Weste mit der Aufschrift „Presse“ und seinen Presseausweis sichtbar trug. Sergej Golownjow, ein Journalist des Internet-Fernsehsenders Insider, wurde von Berkut-Polizisten angegriffen. Dabei wurde seine Kamera zerstört.

Das Institut für Massenmedien (IMI), die ukrainische Partnerorganisation von ROG, zählte im Jahr 2014 insgesamt fast dreimal so viele Angriffe auf Journalisten wie im Vorjahr. Im Januar und Februar registrierte die Organisation jeweils 82 und 70 Fälle, in denen Journalisten geschlagen wurden.  Zwischen November 2013 und Februar 2014 wurden laut IMI 206 Journalisten verletzt, während sie über die Proteste im Land berichteten.

Reporter ohne Grenzen zählte die Ukraine 2014 zu den Ländern, in denen weltweit die meisten Journalisten bedroht oder angegriffen wurden. Zur Rekordzahl von Übergriffen trug neben Angriffen im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Krim und in den östlichen Landesteilen die gezielte Gewalt der Polizei gegen Journalisten bei den Maidan-Protesten im Januar und Februar bei.

Doch die meisten Angriffe auf Medienschaffende, die über die Bewegung berichtet haben, sind bis heute unaufgeklärt. Im Fall der Tötung des Journalisten Wiatscheslaw Weremij wurde bisher kein Täter bestraft. Das Gerichtsverfahren läuft bereits seit drei Jahren und findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Korrespondent der Zeitung Westi war im Februar 2014 auf dem Rückweg vom Maidan-Platz von Unbekannten aus seinem Taxi gezerrt und verprügelt worden. Nachdem er seinen Presseausweis gezeigt hatte, schossen ihm die Angreifer laut Zeugenaussagen in den Bauch.

Journalist durch Autobombe getötet

Wie gefährlich die journalistische Arbeit in der Ukraine heute noch sein kann, zeigt der tödliche Anschlag auf den bekannten weißrussischen Journalisten Pawel Scheremet. Er wurde im Juli 2016 durch eine Autobombe in Kiew getötet. Scheremet hatte zuletzt in der Hauptstadt für Radio Westi und die Nachrichtenseite Ukrainskaja Prawda gearbeitet. Am 8. Februar 2017 gaben ukrainische Ermittler bekannt, dass sie seine journalistische Arbeit als das wahrscheinlichste Motiv für den Anschlag sehen. Bisherige Ermittlungen ergaben laut Innenminister Arsen Awakow, dass das Verbrechen sorgfältig von einer Gruppe geplant wurde.

IMI zählte im vergangenen Jahr 264 Eingriffe in die Pressefreiheit, wie aus einem Anfang Februar veröffentlichten Bericht hervorgeht. In 43 Fällen kam es zu Drohungen oder Einschüchterungsversuchen, ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt ist die Zahl der Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr laut IMI jedoch gesunken.

Kampf gegen Straflosigkeit

Um die Verantwortlichen von Verbrechen an Journalisten zur Rechenschaft zu ziehen, wirbt Reporter ohne Grenzen bei den Vereinten Nationen für einen UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten. Er sollte direkt dem UN-Generalsekretär unterstehen und die Befugnis zu eigenständigen Untersuchungen haben, wenn Staaten nach Gewalttaten gegen Journalisten nicht ermitteln.

Der UN-Sonderbeauftragte soll die Bemühungen der verschiedenen UN-Institutionen zum Schutz von Journalisten koordinieren, bestehende völkerrechtliche Vorschriften durchsetzen und auf diese Weise die Zahl von Übergriffen und Gewaltakten gegen Journalisten wirksam verringern. Zwar gibt es bereits UN-Resolutionen für einen besseren Schutz für Journalisten vor allem in Konfliktgebieten; sie hatten aber bislang kaum konkrete Auswirkungen auf die Lage der Betroffenen.

Massenmedien als Machtinstrumente

Journalisten in der Ukraine haben nicht nur mit der Straflosigkeit zu kämpfen. Die Medien des Landes leiden an Korruption und mangelnder Transparenz über ihre Eigentumsverhältnisse. Die Massenmedien sind vor allem den persönlichen Interessen ihrer Besitzer verpflichtet und dienen ihnen als politische und wirtschaftliche Machtmittel. Das geht aus den dreimonatigen Recherchen im Rahmen des weltweiten Projekts Media Ownership Monitor (MOM) hervor, die ROG zusammen mit IMI im Oktober vorgestellt hat.

Die MOM-Ergebnisse bestätigen auch die besondere Rolle der „Oligarchen“ für die Medienlandschaft. Die vier wichtigsten Fernsehkonzerne StarLightMedia1+1 MediaInter Media und Media Group Ukraine vereinen mehr als drei Viertel der Zuschaueranteile auf sich. Zugleich gehören sie Oligarchen, die unter den reichsten Unternehmern der Ukraine sind.

Hinzu kommen große Defizite in der Journalistenausbildung und die verbreitete Praxis der Redaktionen, nicht gekennzeichnete bezahlte Inhalte zu verwenden. Das geht aus dem im Juni 2016 veröffentlichten ROG-Länderbericht „Ernüchterung nach dem Maidan“ hervor. Trotz aller Einschränkungen hat die Ukraine eine vielfältige und lebendige Medienlandschaft. Anders als im Nachbarland Russland können Journalisten investigativ arbeiten, kritisch berichten und sich Medienprojekte frei von staatlicher Einmischung entwickeln, so der Bericht.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Ukraine auf Platz 107 von 180 Staaten. 



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