Türkei :
Wie Erdogan die freie Presse mundtot macht

Von Rainer Hermann
Lesezeit: 2 Min.
Erdogan vor dem türkischen Parlament: Ein Richter, der das Urteil eines „Friedensrichters“ aushebelte, wurde kurz darauf des Amtes enthoben.
Kurz vor dem EU-Gipfel setzt die Türkei eine kritische Oppositionszeitung unter staatliche Kontrolle. Das hat System. Präsident Erdogan schämt sich nicht mal mehr, seine undemokratischen Strukturen zu verbergen. Ein Kommentar.

Drei Tage vor dem EU-Gipfeltreffen mit der Türkei hat der türkische Staat klargestellt, wie er es mit europäischen Werten hält: Wer anderer Meinung ist, wird mundtot gemacht, und um dies zu erreichen, hebelt das System Erdogan die Justiz aus. Mit der oppositionellen Qualitätszeitung Zaman verstummt nun eine weitere kritische Stimme. Zaman ist nicht die erste Oppositionszeitung, die mit der Einsetzung staatlicher Treuhänder ihre Unabhängigkeit verliert.

Unmittelbar vor einem Gipfeltreffen mit der EU selbst die auflagenstärkste Zeitung der Türkei mundtot zu machen, zeigt, wie immun sich die Türkei gegen Kritik fühlt und wie unentbehrlich sie sich zur Lösung der Flüchtlingskrise hält. In Ankara macht man sich nicht einmal mehr Gedanken darüber, ob die EU energisch den Zeigefinger heben könnte und dann wieder sinken lässt.

Bis zu einem Urteil kann es Jahre dauern

Die Maßnahme hebelt nicht nur die Meinungsfreiheit aus, sie ist auch eine Verhöhnung der Justiz. Nicht ordentliche Gerichte haben die sogenannten Treuhänder eingesetzt. Es waren vielmehr die „Friedensrichter“, die Erdogan gegen Ende seiner Amtszeit als Ministerpräsident geschaffen hat und von denen zehn in Istanbul den Auftrag haben, angeblich zur Herstellung der inneren Sicherheit Personen festzunehmen und Unternehmen unter staatliche Aufsicht zu stellen. Jeder einzelne „Friedensrichter“ kann das anordnen. So sind auch bisher die oppositionellen Zeitungen ausgeschaltet worden.

Die Entscheidungen sind in Kraft, bis ein ordentliches Gericht ein Urteil in dem Fall spricht, was Jahre dauern kann. Die Hürden sind so hoch gelegt, dass ein ziviler Richter die Entscheidung eines „Friedensrichters“ kaum aufheben kann. Als dies einmal ein ziviler Richter wagte und eine Entscheidung eines „Friedensrichters“ aufhob, sorgte der türkische Staat dafür, dass dieser unbotmäßige Richter abgesetzt wurde und hinter Gitter kam.

Mit europäischen Standards hat das nichts mehr gemein. Die in der Flüchtlingsfrage unentbehrliche Türkei ist auf die schiefe Bahn geraten – das zeigen auch der Krieg gegen die Kurden um eigenes Land und in Syrien sowie das zwielichtige Verhältnis zu islamistischen Extremisten. Diese Türkei rückt näher an Putins Russland, nicht aber an die EU.