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Ausland Dokumentierte Vorwürfe

Die widersprüchlichen „Beweise“ im Fall Deniz Yücel

Welle der Solidarität mit inhaftiertem Deniz Yücel

Die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel hat große Empörung ausgelöst. In mehreren Städten finden heute Proteste statt: für die Freilassung Yücels und aller anderen inhaftierten Journalisten in der Türkei.

Quelle: N24/Eybe Ahlers

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Deniz Yücel sitzt wegen des Verdachts auf Volksverhetzung in Untersuchungshaft. Die türkischen Behörden werfen ihm Propaganda für zwei höchst unterschiedliche Organisationen und das Zitieren eines Witzes vor.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat kürzlich erklärt, niemand werde in der Türkei wegen journalistischer Aktivitäten inhaftiert. Allerdings stützt sich die richterliche Begründung für die Verhängung der Untersuchungshaft gegen Deniz Yücel ausschließlich auf Artikel, die der „Welt“-Korrespondent geschrieben hat.

Doch darin geht es keineswegs um den vermuteten Anlass der Ermittlung gegen Yücel und andere Journalisten – Texte über E-Mails von Energieminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak, die das linke Hacker-Kollektiv RedHack in Umlauf gebracht hatte. RedHack gilt in der Türkei als Terror-Organisation. Der eigentliche Gegenstand der Ermittlungen gegen Yücel bleibt einstweilen geheim, weil die Ermittlungsakten wegen Terrorverdachts unter Verschluss gehalten werden. Doch in dem Beschluss zur Verhängung der Untersuchungshaft werden weder Hacker noch der Energieminister genannt. Stattdessen erwähnt der Richter ausschließlich Texte Yücels zu zwei anderen Themen: zum Kurdenkonflikt und zum gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016.

Dabei wird Yücel Propaganda für zwei höchst gegensätzliche Organisationen vorgeworfen: die verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK), seit jeher linksradikal, und die islamistische Gülen-Bewegung, einen einstigen Bündnispartner Erdogans.

„Deniz steht für das Prinzip der Meinungsfreiheit“

„Welt“-Korrespondent Deniz Yücel muss in der Türkei in Untersuchungshaft. „Die gesamte Redaktion steht unter Schock, wir lassen uns aber auch nicht entmutigen“, so Chefredakteur Ulf Poschardt im Interview.

Quelle: N24/Christina Lewinsky

Yücels Texte enthielten „Beweise, die einen dringenden Tatverdacht darstellen“ bezüglich der „ihm angelasteten Straftaten “ – also Terrorpropaganda und Volksverhetzung, wie sie die Staatsanwaltschaft Yücel in ihrem Haftantrag zur Last legt. Ein Beweismittel unter anderen: ein Witz, den Yücel in einem Artikel wiedergibt.

Als ersten Hinweis auf ein strafwürdiges Verhalten nennt der Richter ein Interview, das Yücel im August 2015 mit Cemil Bayik geführt hatte, einem Anführer der PKK, der als Nummer zwei der Organisation hinter deren inhaftiertem Gründer Abdullah Öcalan gilt. Das Interview führte Yücel in den Kandil-Bergen im kurdischen Teil des Irak, wo sich ein Großteil der PKK-Exilführung aufhält. Darin spricht sich Bayik unter anderem für eine friedliche Lösung des Konfliktes mit dem türkischen Staat aus.

In seiner Begründung für die Verhängung der Untersuchungshaft gegen Yücel stellt der Istanbuler Haftrichter Mustafa Cakar fest, durch das Interview habe Yücel „den Aussagen des Organisationsführers Cemil Bayik über den Präsidenten der Republik Türkei Platz eingeräumt und damit den Eindruck erweckt, dass die PKK-Terrororganisation eine legitime Organisation wäre“.

Vorwurf Volksverhetzung

Dann kommt der Richter auf den Witz zu sprechen. Er zitiert den Anfang einer Analyse Yücels zu den türkischen Interessen im Nordirak: „Um die Haltung des türkischen Staates zu illustrieren, erzählen Kurden gerne folgende Geschichte: Ein Türke und ein Kurde werden zum Tode verurteilt. ‚Was ist dein letzter Wunsch?‘, wird der Kurde vor Vollstreckung gefragt. Er überlegt kurz und sagt dann: ‚Ich liebe meine Mutter sehr. Bevor ich aus dieser Welt scheide, möchte ich noch einmal meine Mutter sehen.‘ Dann darf der Türke seinen letzten Wunsch äußern. Ohne zu zögern, antwortet er: ‚Der Kurde soll seine Mutter nicht sehen.‘

In dieser Parabel steckt ein guter Teil der Maxime und der Prioritäten der türkischen Politik in Syrien und im Irak.“ Yücels Absichten hinter der Anekdote fasst der Richter wie folgt zusammen: „Indem er mit dem betreffenden Witz andeutet, dass die Politik der Türkei dasselbe Ziel verfolgt, hetzt er die verbrüderten türkischen und kurdischen Bürger offen zu Hass und Feindschaft gegeneinander auf.“

Nicht nur ein Witz kann ein Hinweis auf eine Straftat sein – auch die Wortwahl des Korrespondenten dient als Beleg: In einem anderen Artikel mache Yücel „Terrorpropaganda für die betreffende Organisation, indem er für den PKK-Anführer Öcalan die Bezeichnung Abdullah Öcalan, Oberbefehlshaber der PKK anwendet“.

Was jetzt die Bundesregierung für Deniz Yücel tut

Rechtsstaatliche Prinzipien würden im Fall Yücel verletzt, kritisierte Außenminister Gabriel. Der Fall belastet die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland weiter, berichtet Christina Lewinsky.

Quelle: N24/ Christina Lewinsky

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Dann wendet sich der Richter dem anderen Komplex zu, der Gülen-Bewegung und ihrer Rolle beim Putschversuch vom 15. Juli 2016. Den versuchten Staatsstreich legt die Regierung Erdogan einer gülenistischen Terrororganisation zur Last, die sie Fetö nennt. So führt er unter anderem einen Artikel vom zweiten Tag nach dem Putschversuch an, in dem Yücel schreibt, über dessen Verantwortliche herrsche noch wenig Klarheit.

Der Richter befindet, Yücel „deutet an, dass das Geheimnis darüber, wer die Verantwortlichen des betreffenden Putsches sind, immer noch bestehe und dass es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass die Fetö-Terrororganisation den Putsch durchgeführt hat, und betreibt damit Propaganda für die Organisation“.

Tatsächlich taucht die linke Hackergruppe RedHack ebenso wenig in dem Beschluss auf wie die E-Mails des Erdogan-Schwiegersohnes Albayrak. Aber das ist im Zusammenhang dieses Falles nichts Ungewöhnliches.

Am 25. Dezember hatte die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ in ihrer Online-Ausgabe berichtet, mehrere Journalisten würden im Zusammenhang der E-Mail-Affäre gesucht oder seien schon festgenommen. Drei von ihnen – Derya Okatan, Eray Sargin und Metin Yoksu – wurden nach dem Polizeigewahrsam auf freien Fuß gesetzt.

Drei weitere kamen wie Yücel in Untersuchungshaft – Tunca Ögreten, Ömer Celik, Mahir Kanaat. Die meisten von ihnen hatten über die E-Mail-Affäre berichtet oder getwittert, alle wurden dazu verhört. Doch alle wurden anschließend völlig anderer terroristischer Aktivitäten verdächtigt – der Mitgliedschaft in der PKK, der kommunistischen DHKP/C, der Gülen-Bewegung.

DW

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